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Notenbank-Chef Mark Carney deutete jüngst eine Zinsanhebung an.

Foto: APA/EPA/Daniel Leal-Olivas

Der britische Schatzkanzler George Osborne darf sich freuen: Die Wirtschaft brummt. Im zweiten Quartal 2014 ist das Bruttoinlandsprodukt um 0,8 Prozent gewachsen. Im Vergleich zum Vorjahr beträgt die jährliche Expansion im Königreich jetzt 3,1 Prozent und hat damit das Level vor der großen Wirtschaftskrise, die 2008 einsetzte, nicht nur erreicht, sondern um 0,2 Prozent überschritten.

Die Arbeitslosigkeit ist mit 6,5 Prozent auf dem niedrigsten Wert seit fünfeinhalb Jahren gefallen, und auch die Inflation scheint unter Kontrolle. Großbritannien ist mit diesen Zahlen einer der wirtschaftlich stärksten Märkte in der westlichen Welt.

Doch der britische Boom ist einem Phänomen geschuldet, das sich zu einer Blase auswachsen könnte: Nach fünf Jahren Rezession und fallenden Preisen kaufen die Briten wieder fleißig Häuser. Der Immobilienmarkt ist ein zentraler Faktor der britischen Volkswirtschaft.

Hohe Schulden

Die Wohneigentumsquote ist eine der höchsten Europas. Im Königreich mietet oder baut man kaum - man kauft sich ein Haus und nimmt dafür hohe Kreditsummen, oft bis zu 80 Prozent der Kaufsumme, auf. Das ist in der Regel immer noch günstiger, als Miete zu zahlen, außerdem profitiert man vom Wertzuwachs, und der ist zurzeit wieder enorm.

Das Durchschnittshaus hat in einem Jahr um gut 28.000 Pfund (35.400 Euro) zugelegt und somit mehr verdient als sein Besitzer mit einem Durchschnittseinkommen. Kein Wunder, dass der Durchschnittsbrite jetzt denkt, er sei wohlhabend, wenn er sieht, dass sein Haus täglich um Hunderte von Pfund im Wert steigt. So führt der Immobilienboom dazu, dass die Briten nicht sparen, sondern konsumieren. Und der daraus resultierende Optimismus dürfte der wichtigste Grund für den wirtschaftlichen Höhenflug sein.

Beunruhigend bei dem wachsenden Optimismus ist: Innerhalb der nächsten vier Jahre wird die Verschuldung der privaten Haushalte laut offiziellen Prognosen zwei Billionen Pfund erreichen. Was aber, wenn die Blase platzt? Hauspreise können nicht endlos in die Höhe gehen, und auch Kreditkarten haben Limits. Nachdenklichere Zeitgenossen haben angemahnt, dass sich Großbritannien daranmachen sollte, seine Wirtschaft umzubauen: weg von der Abhängigkeit vom Dienstleistungssektor, insbesondere den Finanzdienstleistungen, die rund zehn Prozent des BIP ausmachen, und hin zu einem Ausbau der verarbeitenden Industrie.

Auch der Chef der britischen Notenbank Mark Carney fürchtet, dass ein außer Kontrolle geratener Immobilienboom die Gesamtwirtschaft torpedieren könnte, und deutete an, den Leitzins, der zurzeit bei einem halben Prozent liegt, demnächst anheben zu wollen. Einige Beobachter erwarten die erste Erhöhung schon im Herbst. Schatzkanzler Osborne würde es freuen, wenn die Anhebung erst im nächsten Jahr erfolgt. Denn im Mai 2015 sind Parlamentswahlen. Sollte bis dahin der Boom weitergehen, ist anzunehmen, dass die Bürger den Erfolgskurs der Regierung honorieren werden. (Jochen Wittmann aus London, DER STANDARD, 29.7.2014)