Der mediale Hüttenzauber um das Burgtheater und Matthias Hartmann vernebelt zunehmend den Blick auf das gegenwärtige kulturpolitische Vakuum in unserem Lande. Von Initiativen oder gar Visionen kann jedenfalls keine Rede sein. Während die Kulturpolitik auf Wiener Ebene seit geraumer Zeit vom Virus der Zaghaftigkeit und Ideenlosigkeit befallen ist und zum Erfüllungsgehilfen grüner Ideologiepolitik degeneriert, versucht Sie auf bundespolitischer Ebene durch Burgtheateraktionismus und Pragmatismus um Festplattenabgabe und Künstlersozialversicherung jedweden Gedanken über die Veränderung des kulturpolitischen Status quo im Keim zu ersticken.

Da wird, den Medien sei Dank, der Burgtheaterskandal ausschließlich personalisiert, statt ihn zum Anlassfall eines Politik- und Systemversagens zu machen, das sich nicht ausschließlich nur durch Gerichtsprozesse, sondern durch die Abschaffung oder totale Umgestaltung (im Sinne von wahren Synergien vom gemeinsamen Rechnungswesen bis gemeinsamen Servicediensten) eines offenkundig in zentralen Bereichen der Kontrolle und Koordination ineffizienten, teuren und überflüssigen staatlichen Überbürokratie lösen ließe. Der gegenwärtige Bundestheaterverband ist dabei das Problem, nicht die Lösung.

Die nunmehrige interimistische Besetzung - mit Günther Rhomberg wurde von Minister Ostermayer ein erstklassiger und langgedienter Fachmann gewählt - lässt aber auch befürchten, dass ein Statthalter für einen abgehalfterten Politiker - die Wien-Wahlen stehen vor der Tür - gesucht wurde.

Anstelle von mehr künstlerischer und wirtschaftlicher Autonomie bei gleichzeitigem Wettbewerb, effizienter Kontrolle und Formulierung finanzieller und qualitativer Erfolgskriterien für die Bühnen setzt man offenkundig weiterhin auf einen überholten parteipolitischen Etatismus und aufgeblähte Verwaltungsstrukturen, die - wie in anderen österreichischen Politbereichen - der Aufrechterhaltung politischer Spielwiesen für Postenschacher und Einflussnahme dient.

Da passt es ins Bild, die Kulturpolitik vom Schul- ins Beamtenressort zu verlegen, wo das Verwalten schon immer Vorrang vor dem Gestalten hatte, die Auslandskultur in dem ihr wesensfremden, weil auf Repräsentation und Ausgleich ausgerichteten diplomatischen Dienst einzubetonieren und die Geiselhaft des ORF in den Händen braver Parteisoldaten zu prolongieren.

Eine Regierungsbildung, die das Wahlergebnis als Reformauftrag ernst genommen hätte, hätte nicht nur mit der Schaffung eines sämtliche Kunstagenden umfassenden Kunstministeriums, die selbstverständlich auch die im Außenministerium verbliebene Auslandskultur miteinschließen müsste, ein Zeichen für die Bedeutung und Symbolkraft von Kultur und Kunst für unser Land gesetzt.

Anstelle der Aufrechterhaltung obsoleter Strukturen von der Bundestheaterholding bis hin zu den mit staatlichen Repräsentationslasten und sinnlosen Strukturkosten belasteten Kulturforen hätte sie auch die längst nötige Neudefinition des Verhältnisses von Kunst und Staat im Sinne einer zeitgemäß verstandenen Freiheit der Kunst vorgenommen.

Dazu gehört primär der Abbau staatlicher Dominanz (nicht aber der staatlichen Finanzierung bei effizienter, ernstgemeinter Kontrolle) etwa durch eine österreichische Auslandskulturstiftung, eine Entpolitisierung und Entbürokratisierung der Kultur und ein Mehr an bürgerlicher, das heißt, auch persönlicher, finanzieller und künstlerischer Partizipation von der steuerlichen Absetzbarkeit von Kunstankäufen bis hin zur Förderung bürgerlicher Repräsentanz in kulturellen Institutionen. Dazu gehören auch neue kulturpolitische Initiativen und Schwerpunktsetzungen etwa hin zu einer als prioritär erkannten Film- und Medienpolitik.

Kurzum, gefragt ist ein von britischem liberal-demokratischem Selbstverständnis geprägtes "arm's length principle": klare kulturpolitische Aufträge und ein quantitatives und vor allem qualitatives Controlling der kulturellen Einrichtungen und Angebote bei gleichzeitiger Förderung ihrer Autonomie und wirtschaftlichen Professionalität. Als Modell könnte dabei die schweizerische Pro Helvetia oder das British Council dienen, deren Verhältnis von fixen und operativen Kosten für die österreichische Kulturbürokratie vorbildhaft sein könnte.

Dazu bedarf es jedoch anstelle von Mut- und Fantasielosigkeit, dem Beharren auf politischen und ministeriellen Eigeninteressen und einem überholten Proporzdenken einer am Gemeinwohl und dem kulturellen Wandel orientierte Kulturpolitik der Visionen, der Flexibilität und des Leaderships.

Würde er über den parteipolitischen Schatten springen können, Minister Ostermayer hätte das Zeug, diesen Wandel einzuleiten, es wäre ihm jedenfalls zu wünschen. (Gerald Matt, DER STANDARD, 29.7.2014)