Das Haager Schiedsgericht hat Russlands Präsident Wladimir Putin eine schallende Ohrfeige verabreicht: Die 50-Milliarden-Dollar-Strafe gegen Russland, die einige Vertreter Moskaus bereits als politisch motiviertes Urteil kritisierten, ist die Quittung für einen Prozess, in dem der Kreml ohne Rücksicht auf Verluste einen unbequem gewordenen Oligarchen ausschaltete und dessen Konzern an eigene Gefolgsleute aufteilte. Es sei quasi eine Enteignung gewesen, urteilten die internationalen Schiedsrichter.

Die Unberechenbarkeit der russischen Justiz, speziell wenn die Politik ins Spiel kommt, ist ein Punkt, der seit Jahren Investoren in Russland verschreckt. Der von Putin als Kampf gegen die Oligarchen inszenierte Streit entpuppte sich als reiner Umverteilungskampf, in der der Reichtum von einer Clique an die nächste überging. Der halbstaatliche Rosneft-Konzern wird schließlich von einem engen Getreuen Putins kontrolliert. Überhaupt konnten sich die großen staatlichen oder staatsnahen Betriebe immer mehr Anteile am russischen Volkseinkommen sichern, während der Klein- und Mittelstand es schwer hat. Korruption und Bürokratie sind zwar nach Einschätzung von Unternehmern zurückgegangen; das Ausmaß ist jedoch nach wie vor gewaltig - ebenso wie die Machtbefugnisse der "kompetenten Organe", sich überall einzumischen.

Unsicherheit und eine dirigistische Wirtschaftspolitik befeuern seit Jahren die Kapitalflucht. Experten machen diese Politik auch für das trotz stabil hoher Ölpreise schwache Wirtschaftswachstum des Landes verantwortlich.

Dass Wirtschaft und Börse - der russische Aktienindex entwickelt sich seit 2008 unterdurchschnittlich - nun zusätzlich unter der Last westlicher Sanktionen zu leiden haben, muss sich der Kreml letztendlich auch selbst zuschreiben. Mit der Übernahme der Krim ist Putin das Risiko bewusst eingegangen. Über die Sanktionen kann man streiten, freilich ist die in Moskau demonstrierte Empörung darüber scheinheilig, denn auch der Kreml hat in der Vergangenheit zur Erreichung politischer Ziele immer wieder zu inoffiziellen Sanktionen gegriffen. Zuletzt gegenüber der Ukraine, als deren damaliger Präsident Wiktor Janukowitsch mithilfe von Zollschikanen dazu bewogen werden sollte, anstelle des EU-Assoziierungsabkommens den Beitritt zur von Russland dominierten Zollunion zu unterzeichnen. Das Resultat ist bekannt. (André Ballin, DER STANDARD, 29.7.2014)