Akram Zaatari eignet sich historische Aufnahmen aus dem Studio von Hashem El Madani an: "Studio Practices".

Foto: AkramZaatari/Arab Image Foundation

Salzburg - Der 2. Juli 2005 war kein besonderes Datum - und Rohrbach auch kein spezieller Ort, sondern ein Stellvertreter für eine x-beliebige österreichische Gemeinde, in der während des Holocausts Verfolgung stattfand. Nur der Platz unweit der Kirche, in Sichtweite des Kriegerdenkmals, war für die Performance von Sanja Ivekovic sorgsam gewählt. Für The Rohrbach Living Memorial hatte die kroatische Künstlerin während des Festivals der Regionen dazu eingeladen, an einem stillen Gedenken für die ermordeten Sinti und Roma teilzunehmen.

Drei Stunden saßen die Bürger als Performer, "Z"-Schleifen (die NS-Kennzeichnung für "Zigeuner") tragend auf dem Kies, ohne dass etwas Wesentliches geschah. So verwandelten sie sich auf symbolischer Ebene allmählich zu jener historischen Aufnahme, die eine Gruppe auf der Erde ausharrender Sinti und Roma zeigt; in einem ländlichen wie metaphorischen Nirgendwo warteten sie auf den Abtransport in ein Konzentrationslager. Schicksal ungewiss.

Das Bild, Teil eines kollektiven Gedächtnisses, überlagerte sich hier also mit einer gelebten Erinnerung - ein zwar temporäres, aber wohl doch intensiveres Mahnmal, als es jede fixe Gedenkstätte sein könnte: Menschen signalisieren mit ihrem Körper und ihrer Präsenz im öffentlichen Raum Solidarität mit den Opfern; sie treten - für jeden sichtbar - für eine Idee ein. Friedvoll und ohne viele Worte, aber eben leiblich.

In einer Zeit, in der der Protest zunehmend virtuell geworden ist, echte Wut dem tatsächlich wenig bewegenden Ärgernis oder Formen des Angenervtseins gewichen ist, ist das schon besonders.

Und umso dankbarer darf man daher sein, dass Ivekovic darauf bestand, nicht nur ihr Video Personal Cuts (1982), sondern auch diese filmisch dokumentierte Arbeit in der Schau Kunst/Geschichten im Salzburger Museum der Moderne (MdM) zu zeigen.

Dass Artefakte in Museen schon immer dazu verwendet wurden, bestimmte Geschichtsbilder zu argumentieren, ist ebenso Thema der von Direktorin Sabine Breitwieser kuratierten und 40 Positionen starken Schau wie die Rolle der Künstler, diesen Konstruktionsprozess von Historie sichtbar zu machen, kritisch zu hinterfragen und zurechtzurücken oder gegebenenfalls selbst Akteur der Geschichtsschreibung zu werden.

Während Andrea Fraser die in Stein meißelnde Absolutheit, mit der Museen Geschichtswahrheiten verbreiten, ein Dorn im Auge ist, bringen Kader Attia die riesigen ethnologischen Sammlungen des Vatikans ins Grübeln: Wie kann es überhaupt sein, dass diese existieren? Schließlich war die Kirche einst doch extra vor Ort - in Afrika, Ozeanien, Amerika und Asien -, um die "Primitiven" zu zivilisieren und zwangsevangelisieren. Dass man die Beute, die einst in den Kolonialländern beweisen sollte, warum Christianisierung bitter nötig ist, nun als kostbare Kulturschätze ausstellt, darf man getrost als geschichtsklitternde Schizophrenie umschreiben.

Fotograf Kurt Kaindl dokumentiert etwa die us-amerikanische Stadt New Ebenizer, ein Salzburger Refugium im „Bible Belt“ der amerikanischen Südstaaten und rückt damit ein Ereignis in den Fokus: Denn hier fanden protestantische Siedler ein neues Zuhause, 1734 – das illustrieren in der Präsentation auch Stiche des 18. Jahrhunderts – wurden sie aus ihrer Salzburger Heimat vertrieben.

Akram Zaatari oder Walid Raad und sein kollektives Alter Ego - die "Atlas Group" - eigenen sich hingegen zeithistorische Fotos für ihre Perspektiven auf den Libanonkrieg an: Zaatari zeigt etwa die Praxis der Palästinenser, sich in den 1960ern bewaffnet in Fotostudios ablichten zu lassen; Raad wählte 100 Pressefotos aus, die das Einzige zeigen, was bei der Detonation einer Autobombe intakt bleibt: der Motor.

Die Gegenüberstellung von Dan Grahams Kommerzinteressen kritisierender Doku Rock My Religion und dem Disneylandkitsch von Sound of Music ist witzig. Bittersüß die Installation von Marcel Broodthaers, der ein Puzzle der Schlacht von Waterloo in eine spießige Schrebergartenszenerie verfrachtet hat. Trotz solcher Ausnahmen ist die Grundstimmung der Ausstellung u.a. mit Werken von Otto Dix und Käthe Kollwitz freilich nachdenklich bis schwermütig, werden doch gerade die dunklen Kapitel der Geschichte betrachtet (Kreuzzüge, Krieg, soziale Missverhältnisse). Umso wichtiger ist, dass die ernsten Arbeiten nicht in Konkurrenz zueinander treten, was das MdM oft mit kleinen Wirkräumen und Kabinetten - sowohl im Rupertinum als auch am Mönchsberg - ermöglicht. Gute, qualitätvolle und oftmals bereits auf wichtigen Kunstbiennalen präsentierte Kunst mit Haltung. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 30.7.2014, Langfassung)