Ab sofort heißt es "Stopp" für österreichische Internetnutzer, sobald sie gesperrte Websites ansteuern ...

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... die Sperren können allerdings umgangen werden

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Prominentestes Opfer ist wohl "The Pirate Bay", das ab 1. August blockiert werden soll

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Im Technischen Museum in Stockholm ist der erste Pirate Bay-Server aufgestellt

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Proteste gegen Netzsperren gibt es immer wieder, etwa 2012 gegen ACTA

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Das Thema Netzsperren sorgt für hitzige Debatten und viele Fragen: Kann man die Blockade umgehen? Werden nach der Pirate Bay weitere Seiten gesperrt? Was sagt die Politik? Der WebStandard hat sich die wichtigsten Fragen zum Thema angesehen.

1. Was ist passiert?

Der Oberste Gerichtshof (OGH) hat entschieden, dass Provider ihren Kunden den Zugang zu gewissen Websites blockieren müssen, wenn dort Urheberrechte verletzt werden. Die Sperre erfolgt nach Aufforderung durch die Rechteinhaber, der Provider muss dieser dann nachkommen – oder sich wehren. Ab Freitag sollen die Pirate Bay und zwei weitere populäre Seiten für österreichische Nutzer gesperrt werden.

2. Wie kam der Prozess ins Rollen?

Ausgangspunkt war ein Film des österreichischen Regisseurs Michael Haneke. "Das weiße Band" war auf der Streamingseite kino.to illegal verfügbar, dessen Produktionsfirmen Constantin Film und Wega Film wollten per einstweiliger Verfügung den Zugang für UPC-Kunden sperren. Der Internetprovider wehrte sich, daraufhin klagte der Verein für Antipiraterie (VAP) gemeinsam mit heimischen Filmproduzenten.

3. Ist die österreichische Justiz für das Urteil verantwortlich?

Nicht nur – der Oberste Gerichtshof hatte den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Einschätzung gebeten, wie Netzsperren in Bezug auf die EU-Urheberrechtsrichtlinie auszulegen sind. Der EuGH entschied, dass solche Blockaden durchaus legitim sind, solange ein "angemessenes Gleichgewicht" zwischen dem Grundrecht der Informationsfreiheit und dem Schutz des geistigen Eigentums herrsche. Ähnliche Netzsperren gibt es übrigens in vielen anderen EU-Ländern, etwa in Dänemark und Großbritannien.

4. Was hat das Grundrecht der Informationsfreiheit damit zu tun?

Zu einem überwiegenden Teil werden Netzsperren für Zensurmaßnahmen eingesetzt. Es soll verhindert werden, dass die Bevölkerung sich politisch informiert oder austauscht. Berüchtigt ist die chinesische Internetpolizei, die aus mehr als zwei Millionen Mitarbeitern besteht. Sie schirmen chinesische Nutzer durch die "Große Firewall" von unerwünschten Inhalten ab. In der Türkei sorgte vor einigen Monaten eine Twitter- und Youtube-Sperre für Aufsehen und heftige Kritik durch EU und UNO.

5. Ist die Demokratie in Österreich gefährdet?

Der Oberste Gerichtshof stellte klar fest, dass nur Websites gesperrt werden können, deren Hauptzweck Urheberrechtsverletzungen sind. So muss sich etwa Youtube keine Sorgen machen, auch wenn dort Massen an urheberrechtswidrigem Material vorhanden sind. Netzaktivisten warnen jedoch davor, dass jeder Eingriff in das freie Internet die demokratiepolitischen Standards senkt und eine Zensur-Infrastruktur schafft. Dass diese Einstellung durchaus berechtigt ist, zeigte sich in Großbritannien, wo der sogenannte "Pornofilter" plötzlich jede fünfte Website blockierte – darunter viele, die keine pornografischen Inhalte hatten.

6. Wie funktionieren Netzsperren technisch?

Grundsätzlich gibt es mehrere Möglichkeiten, den Zugang zu Websites zu blockieren. Eine häufige Variante sind DNS-Filter, die nach einem einfachen Prinzip funktionieren: Hinter jeder Website steht ein Rechner mit IP-Adresse. Da es aber mühsam wäre, jedes Mal die numerische Adresse einzugeben, wurde das Prinzip der Domain-Names eingeführt. Man gibt also "derStandard.at" ein, ein Name-Server löst das in "194.116.243.20" auf. Genau dieser Mechanismus würde aber blockiert werden.

7. Wie kann ich eine DNS-Sperre umgehen? Indem ich einfach die IP eingebe?

Prinzipiell ja. Es ist nicht schwer, dieser Blockade auszuweichen. Das zeigte sich anfangs bei der Twitter-Sperre in der Türkei: Nutzer konnten einfach die direkte IP-Adresse des Twitter-Service ansteuern, die Anzahl der abgeschickten Tweets stieg nach der Blockade um dreißig Prozent. Schwieriger wird es, wenn IP-Sperren eingesetzt werden. Hier kann man etwa virtuelle private Netzwerke oder den Anonymisierungsdienst Tor verwenden. Das ist allerdings im Fall der Urheberrechts-Netzsperren nicht wahrscheinlich.

8. Wie geht es weiter?

Normalerweise lösen Netzsperren ein Katz-und-Maus-Spiel aus: Kino.to, das den Fall ins Rollen brachte, wurde wenig später zu kinox.to – und so weiter und so fort. Allerdings werden große Seiten nicht extra für ihre österreichischen Nutzer neue Adressen anlegen. Die Rechte-Inhaber werden indes weiter nach Urheberrechtsverletzungen Ausschau halten, mit der Pirate Bay wurde aber ein großer Fisch außer Gefecht gesetzt. Am Donnerstag soll laut VAP-Geschäftsführer Werner Müller eine zweite Besprechungsrunde mit Vertretern der Telekomkonzerne stattfinden, in der man über ein weiteres Vorgehen diskutiert.

9. Welche politischen Möglichkeiten gibt es?

Die Provider kritisierten unter anderem, dass sie durch das Urteil in die "Rolle des Richters“ gedrängt werden, weil sie selbst über die Zulässigkeit der Sperraufforderung entscheiden müssen. Abhilfe würde hier eine Art Schlichtungsstelle schaffen – etwa mit freiwilliger Selbstverpflichtung. Auch der Verein für Antipiratere fände eine solche Stelle "durchaus wünschenswert.“ Das könnte etwa gesetzlich geregelt werden. Aus dem Justizministerium hieß es bislang allerdings lediglich, man wolle die Auswirkungen des Urteils evaluieren. Dass die im Herbst anstehende Urheberrechtsnovelle auch Netzsperren thematisiert, scheint unwahrscheinlich - obgleich Grüne, ÖVP und Neos heftige Kritik äußern.

10. Gibt es eine juristische Möglichkeit, Netzsperren außer Kraft zu setzen?

Grundsätzlich ist eine Entscheidung des OGH nicht widerrufbar, solange sich die gesetzliche Lage nicht ändert. Eine kleine Hintertür gibt es allerdings: Der Provider muss einer Aufforderung zur Sperre durch Rechteinhaber ja selbstständig nachkommen – wenn er sich weigert, könnte ein Rechtsstreit die Folge sein. Der kann zwar nicht das aktuelle Urteil per se außer Kraft setzen, aber mehr Spielraum schaffen. Etwa wenn entschieden würde, dass die Pirate Bay nicht zu sperren ist, weil es dort auch viele legale Inhalte gebe. Laut Futurezone kam es etwa in den Niederlanden zu einer Aufhebung der Pirate-Bay-Sperre. Ob heimische Provider Widerstand planen, war nicht in Erfahrung zu bringen. (fsc, derStandard.at, 30.7.2014)