In Gestalt ihres Pressestellenleiters erklärt die Staatsanwaltschaft Salzburg laut STANDARD, es sei offensichtlich, dass eine Tafel mit dem Text "Hätte Maria abgetrieben wärt ihr uns erspart geblieben" die Daseinsberechtigung gläubiger Christen infrage stellt. Dadurch werde ihre Menschenwürde verletzt und Verhetzung betrieben.

Nun wird mit Recht häufig beklagt, dass unsere Schulkinder oft nicht mehr sinnerfassend lesen können. Es ist bedauerlich, dass sich dieses Übel bereits bis in die Kreise der Justiz vorgearbeitet hat. Als Germanist und Schriftsteller will ich diese meine Behauptung durch eine kurze Analyse des inkriminierten Textes stützen:

Der Satz ist ein sogenannter Irrealis, ein Konditionalgefüge, das deshalb unerfüllbar ist, weil seine Realisierung in die Vergangenheit fiele. Da Maria nach christlicher Lehre Jesus Christus geboren hat und sich diese Religionsgemeinschaft auf ihn als göttlichen Heiland beruft, gibt es heute ein breites Spektrum höchst heterogener mehr oder weniger Gläubiger, vom Befreiungstheologen bis zum asketischen Trappistenmönch, vom glühenden Fundamentalisten bis zur laschen Taufscheinchristin. Das Papptäfelchen der von der Polizei massiv amtsbehandelten jungen Leute macht nun mit anderen Worten das Selbstverständliche geltend, nämlich dass es das Christentum nicht gäbe, hätte es keinen Christus gegeben, und damit auch keine Anhänger dieses Glaubens.

Diese simple Tatsachenfeststellung wird freilich einerseits mit einer unhöflichen Wertung einer bestimmten Gruppe von Christen garniert, andererseits wird Abtreibung als irreale Variante des Nichtgeborenwerdens eines Religionsstifters ins Spiel gebracht. Das muss einem, etwa mir, in dieser Form nicht gefallen. Aber es ändert nichts am oben zusammengefassten, eine schlichte Tatsache benennenden Inhalt des Satzes. Wo bitte findet sich darin auch nur der geringste Ansatzpunkt für eine Verhetzung, eine Infragestellung der Daseinsberechtigung gläubiger Christen?

Ein Wertungsexzess

Im Gegensatz zum halblustigen "wärt ihr uns erspart geblieben" ist die Interpretation der Staatsanwaltschaft ein wirklicher Wertungsexzess, geht es doch nirgends um die Daseinsberechtigung von Christen, sondern bloß um ihr Dasein an sich, das an die Existenz des Gottessohnes gebunden ist. Und dem Wunsch, dass die Welt ohne eine Religion ausgekommen wäre, die, wie andere auch, nachweislich eine lange Tradition blutiger Intoleranz zu verantworten hat, kann man eine gewisse rationale Grundlage nicht absprechen.

Ich bin Schriftsteller und alt genug, mich an das Vorge- hen österreichischer Gerichte gegen literarische Werke und Filme wie Oskar Panizzas Liebeskonzil oder Herbert Achternbuschs Gespenst zu erinnern. Die Freiheit der Kunst zog damals gegen den Vorhalt der Herabwürdigung religiöser Lehren den Kürzeren. Heutzutage ließe sich wohl auch in diesen Fällen mit dem schweren Geschütz Verhetzung auf Spatzen schießen, wenn man sich nicht der Mühe unterziehen will, genau zu lesen.

Ich selbst habe in meinem Roman Einleben versucht, anhand der Geschichte eines Mädchens mit Down-Syndrom Widersprüche herauszuarbeiten, die der medizinische Fortschritt zugespitzt hat: Das Wissen um die genetischen Dispositionen der Trisomie-21-Menschen führte einerseits zu einer völlig neuen Förderkultur, nicht wenige von ihnen leben heute weitgehend selbstständig, haben den Führerschein und eine Lehre absolviert, geben selbstbewusst über sich Auskunft, wie ich als Juror des Literaturpreises "Ohrenschmaus" jedes Jahr feststellen darf. Andererseits sorgt die Pränataldiagnostik dafür, dass neunzig Prozent der Nichtstandardmensch-Föten abgetrieben werden. Ich stelle das alles bloß fest, berichte davon und maße mir kein Urteil an.

Wer sich aber im Besitz der Weisheit wähnt, soll das verkünden dürfen. Jeder religiöse Mensch verdient unseren Respekt und Schutz, solange eine Glaubensgemeinschaft davon absieht, der Gesellschaft ihre Wahrheit als bindend aufzunötigen. Wer sich aus Glaubensgründen öffentlich gegen die Abtreibung starkmacht, soll das tun dürfen. Wer dagegen protestiert, auch. (Ludwig Laher, DER STANDARD, 1.8.2014)