Aufhebung der Schwerkraft in Slowenien: Der Startänzer Yoel Carreno sorgte beim Ljubljana Festival im Sommertheater Krizanke für Staunen.

Foto: Ljubljana Festival

Yoel Carreno hat nicht nur eine grüne Pluderhose mit einem silbernen Gürtel an, was an sich bereits ausreichen würde, um sich in ihn zu verlieben. Er kann auch noch fliegen und Pirouetten in den Nachthimmel von Ljubljana drehen, als wäre die Schwerkraft in Slowenien aufgehoben. In dem Sommertheater Krizanke neben dem ehemaligen Klostergebäude in der Altstadt sind rund 1200 Menschen ins Staunen verfallen. Carreno gehört zum norwegischen Staatsballett. Zu der Vorführung in der slowenischen Hauptstadt wurden aber auch Stars des Bolschoi-Theaters herangekarrt.

Der Galaabend ist eine der 70 Veranstaltungen des Festival Ljubljana. Das Konzept ist seit 62 Jahren dasselbe: große Namen, kleine Preise. In jüngster Zeit ist man immer mehr zu der Ursprungsidee zurückgekehrt, die vorwiegend klassischen Konzerte auf öffentlichen Plätzen aufführen zu lassen. Etwa 20 Prozent der Festivalgäste sind Touristen. Tendenz steigend. Ljubljana ist zu einem der beliebtesten Reiseziele für Kultur- und Städtereisende in Mitteleuropa geworden. Und danach richtet sich zusehends auch die Kulturpolitik des Landes.

Seit die Stadtverwaltung vor vier, fünf Jahren begonnen hat, das Zentrum von Autos freizuräumen und die Straßen stöckelschuhtauglich zu machen, strömen Menschen aus der gesamten Region, aber auch aus den Niederlanden, Australien, China, Südkorea und Japan in die Stadt, die von der sanften Ljubljanica durchschlängelt wird, die dazu da zu sein scheint, um an ihren Ufern zu promenieren und Weißwein zu trinken.

Ljubljana ist eine helle Barockstadt mit allen Merkmalen, die heute zu Mitteleuropa gehören: Chill-out-Cafés, Fahrradwege, verschließbare Mistkübel, Designershops, vielfältiges Essen. An Freitagen wird auf dem Markt - der Trznica des Architekten Joze Plecnik - auch öffentlich gekocht, was zum wichtigsten kulinarischen Stadt-Erleben gehört. Insgesamt bietet Ljubljana etwa 10.000 Kulturveranstaltungen pro Jahr, erzählt die Tourismusverantwortliche der Stadt, Petra Stusek.

Fast 50 Mio. Euro weniger

Ljubljana präsentiert sich ziemlich klassisch, doch die Wirtschaftskrise und ihre politischen Folgen hinterlassen Spuren. Die Graffiti erzählen vom Kampf gegen den Kapitalismus und dem drohenden Niedergang Europas. Die schwierigste Aufgabe für Sloweniens Kulturministeriums war es in den vergangenen Jahren, massive Kürzungen durchzuführen. Machte der Anteil für Kulturausgaben 2009 noch 2,2 Prozent des Budgets aus - mehr als 204 Mio. Euro -, so gab es 2013 nur mehr 157 Mio. Euro (1,69 Prozent des Budgets) für Kultur. Weil zwei Drittel der Ausgaben aber in öffentliche Institutionen fließen und dort Leute arbeiten, die man aufgrund ihres Beamtenstaus nicht kündigen kann, musste man bei dem Drittel für private Kulturinitiativen kürzen. Für manche war es ein Schock, dass langjährige Initiativen zusperren oder von einer Vierjahresfinanzierung auf eine Einjahresfinanzierung umstellen mussten.

Nun will das Ministerium bis 2017 die Strukturen flexibler gestalten, damit nicht alles in die Institutionen fließt. In dem Zwei-Millionen-Einwohner-Land werden 13 Theater und drei Symphonieorchester staatlich finanziert. "Unser Modell wurde im Sozialismus entwickelt und nur wenig geändert", erklärt Gasper Troha, Direktor im Ministerium. "Die Hauptidee ist nun, die Anzahl der Beamten um ein Prozent pro Jahr zu verringern und sie flexibler einzusetzen."

Auch in Metelkova spürt man die neuen Zeiten. Allerdings fürchtet man hier die prinzipielle Monetarisierung allen kulturellen Handelns. Gleich neben dem Kulturministerium liegt die autonom verwaltete Künstlerkommune, eine ehemalige Kaserne, die 1993 besetzt wurde. Doch selbst Metelkova ist mittlerweile zu einer Touristenattraktion geworden. Im Hof stehen ein paar Japaner und knipsen dünnarmige Skulpturen.

Rok Mohar ist menschenfreundlich, aber selbst den Bildhauer nerven manchmal die Touristen, wenn sie permanent an seine Ateliertüre klopfen. Dabei bräuchte der Künstler Ruhe, um weiter an den handtellergroßen Kinderköpfen zu arbeiten, die die Opfer der Verstrahlung der Tschernobylkatastrophe darstellen sollen.

Gegenüber von Metelkova ruhen sich Städtetouristen im Hostel Celica, auf Deutsch "Zelle", aus. In jugoslawischer Zeit saßen hier noch Häftlinge ein, etwa der damalige Dissident und heutige Chef der Konservativen, Janez Jansa, der übrigens gerade wieder eingesperrt ist. 26 Jahre später aber nicht wegen seines Kampfes für mehr Demokratie, sondern wegen eines Schmiergelddelikts.

Metaldays in Tolmin

Lust am Schrägen und Außergewöhnlichen ist auch an den staatlichen Förderungen abzulesen. So wird das Festival für alte Musik Seviqc Brez ice ebenso wie das Metall Music Festival Metaldays in Tolmin unterstützt. Die größte Attraktion dieses Sommers sind aber Ausstellungen rund um den 2000. Jahrestag der Gründung der römischen Stadt Emona auf dem heutigen Gebiet von Ljubljana.

Während auf Bundesebene gespart wird, hat die Stadt ihr Kulturbudget im Vorjahr sogar von 24 auf 27 Millionen aufgestockt. Ljubljana ist auch ein urbaner Fluchtpunkt für alle, die sich nicht in der Humtata-Kultur wiederfinden, die auf dem Land dominiert.

Der Kulturwissenschafter Gregor Tomc, der die Punkrockband Pankrti gründete, hat den Musikgeschmack der Slowenen erforscht. "55 Prozent hören Volksmusik, 20 Prozent Pop und Rock, zehn Prozent Jazz und elektronische Musik", erzählt er. Auf dem freien Markt könne aber nur Volksmusik überleben. Er kritisiert, dass öffentliches Geld vor allem in klassische Musik fließt, was er auf den Konservativismus des Landes zurückführt. Dabei gibt es durchaus progressives, politisches Schauspiel, etwa im Mladinsko-Theater, das mit der Produktion Verdammt sei der Verräter seines Vaterlands bis nach Russland tourt. (Adelheid Wölfl aus Ljubljana, DER STANDARD, 2.8.2014)