Salzburg - Als der namenlose Soldat, den alle Don Juan nennen, aus dem Krieg heimkehrt, bleiben die Frauen an ihm kleben wie Fliegen an der Himbeermarmelade. Sogar die Mutter Oberin, die sich sonst nur vor Gott bäuchlings hinstreckt, hängt fest an seinen Stiefeln, selbst wenn er fortgeht.
Der Krieg hat die Menschen auseinandergerissen, auch nach Geschlechtern. Jetzt treffen sie in einem unerklärlichen Weltzustand namens "Frieden" wieder aufeinander. Ganz ohne Gespür. Ödön von Horváths Heimkehrerdrama Don Juan kommt aus dem Krieg (1937) spitzt diese Oppositionen übermütig zu. Auf dem Schlachtfeld versehrte Körper und Seelen treffen auf angststarre und ausgehungerte Gesichter in der Heimat bzw. was von dieser übrig geblieben ist. Das Personenregister ist vielsagend: Don Juan und 35 Frauenfiguren.
In Andreas Kriegenburgs Salzburger Festspiel-Inszenierung, die am Sonntagabend auf der Perner Insel in Hallein Premiere hatte, erhebt sich dieser Don Juan aus dem Kriegsstaub als Zweimeterhüne (Max Simonischek) mit starrem Blick. Nur seine klobigen Soldatenstiefel geben ihm Halt. Über ihm ein Himmel voller Feldpostkarten, aus dem die Frauen sorgenvoll herunterpflücken. Vor dem Krieg hat dieser Mann seine Braut betrogen und dann sitzengelassen, jetzt will er wieder alles gutmachen und schreibt Briefe, die unbeantwortet bleiben. Die Braut hat sich längst umgebracht.
Kriegenburg erzählt das alles als mechanisches Schauermärchen. Wie kleine Maschinchen werfen die Damenlippen Kussmünder oder reiben nervös - bereits liegend - im Gleichtakt die netzbestrumpften Beine aneinander.
Im Prinzip kein schlechter Kniff, steht der deutsche Regisseur doch auch für ein körpersprachliches, oft slapstickhaftes Theater, das gezielt viele Spielarten ausprobiert. In Österreich verblüffte er zuletzt 2009 mit Franz Kafkas Prozess bei den Wiener Festwochen, als er die Mühlen der Justiz, in die der Prokurist mit Namen K. unversehens gerät, als eine buchstäblich rotierende Welt in Schieflage zeigte, auf der man nur durch viel Akrobatik überlebte.
Handgriffe der Zuneigung
Auch bei Don Juan ist das Mechanische zentral. An den zwischenmenschlichen Begegnungen interessiert hier nur der nüchterne, zufällige Vorgang, die notwendigen Handgriffe einer versuchten "Zuneigung", die notwendigen Schritte einer Annäherung, auch einer gesellschaftlichen "Wiedereingliederung". Das puppenhaft steife Agieren der Figuren ist aber eine Crux, denn es rückt das Geschehen zunehmend weiter weg. Manchmal bleiben sogar die Textzeilen der Figuren hängen wie auf einer Schallplatte. Es gelingt nicht, das Menschliche hinter der Schreckstarre spürbar zu machen.
Kriegenburg zielt auf das Bild einer Gesellschaft im Zustand ihrer Leblosigkeit (die Frauen in ihren weiß getünchten Gesichtern könnten auch Botschafterinnen eines Totenreichs sein). Dieses Konzept wäre kein schlechter Schlüssel, um Horváths gut zu lesendes, aber durchaus schwierig zu verbildlichendes Drama zu knacken. Doch es geht nicht wirklich auf. Die Mechanik bleibt leeres Tun, das nicht glaubwürdig ineinandergreift. Der Don Juan des Max Simonischek markiert eine Leerstelle, er hängt sich auf der Suche nach der einen Braut wie ferngesteuert reihenweise an jede andere; wenn es sein muss mit Gewalt. Es bleibt rätselhaft.
Bodenlange Witwenkleider
In diesem ganz in der Zeit der 20er-Jahre verhafteten Schauspiel (Trümmerfrauen, Wasserwellenfrisuren, bodenlange Witwenkleider; Kostüme: Andrea Schraad) bleiben aber einzelne Szenen beachtenswert: mit einem unsichtbaren Melkschemel gelingen Traute Hoess gespenstische Posen einer verhärmten Großmutter. Nele Rosetz und Natali Seelig vollführen ein hübsches pantomimisches Duett der Inflationsgewinnler in der Opernloge, Elisa Plüss zwingt als Soubrette turnend Don Juan in die Knie. Und Sabine Haupt mimt ein Hausmädchen, in dem sich Selbstbewusstsein regt.
Der Schnee, der dabei eindreiviertel Stunden lang vom Schnürboden fällt, bleibt auf magische Weise als Asche liegen. Einzelnes steckt hier voller Poesie, doch zu einer Gesamtheit findet der Abend nicht. Zeit zum Weiterarbeiten bleibt leider nicht, denn nach acht Vorstellungen ist diese Eigenproduktion abgespielt. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 19.8.2014)