"Das Thema Zuwanderung und Steuerung von Zuwanderung wurde lange ignoriert", klagt Ex-Schuldirektorin Heidi Schrodt.

Foto: Newald

STANDARD: Wie fit ist das österreichische Schulsystem, was die Teilnahme von nicht deutschsprechenden Kindern anlangt?

Schrodt: Gar nicht fit, der Befund ist negativ. Das Schulsystem ist nach wie vor auf eine monolinguale, also deutschsprachige Schule, ausgerichtet. Die haben wir allerdings schon lange nicht mehr.

STANDARD: Sind Migrantenkinder denn unser Hauptproblem?

Schrodt: Nein, Migration per se ist ja kein Problemfaktor. Aber in Kombination mit sozioökonomisch schwachem Hintergrund und einem bildungsfernen Elternhaus - wenn da eine andere Erstsprache als Deutsch hinzukommt, sind das die drei Faktoren, die dazu führen, dass es Kindern schlechtgeht. Und in Österreich haben wir einen überproportional hohen Anteil solcher Zuwanderer. Daher sind die Probleme bei uns größer, weil unser Schulsystem es nicht schafft, hier auszugleichen.

STANDARD: Lassen wir die falschen Leute ins Land?

Schrodt: Nein, aber man hat die Entwicklung nicht genug beachtet. Das Thema Zuwanderung und Steuerung von Zuwanderung wurde lange ignoriert.

STANDARD: Ist es illusorisch, in der Schule eine hilfreiche Durchmischung zu erzielen?

Schrodt: Das ist sehr stark auch eine Frage der Wohnbaupolitik. Es braucht dazu etwa die Förderung von sozialem Wohnbau in den Wiener Bezirken 13, 18, 19, damit gezielt auch die angesprochenen Familien hinziehen. Zweitens: Solange es Gymnasien und Hauptschulen gibt, geht der Trend ins Gymnasium, in die Schule, die als höherwertig angesehen wird.

STANDARD: Die Neue Mittelschule (NMS) ändert daran nichts?

Schrodt: Wer geglaubt hat, dieser Schultyp würde dazu führen, dass alle so begeistert sind und hinstürmen - bei Weiterbestand des Gymnasiums -, war vollkommen blauäugig. Die NMS hat schon gute Momente, nur: Es macht keinen Sinn, ein Modell zu entwickeln, das für ganz Österreich gleich aussieht. So kann man den komplexen Schulsituationen nicht gerecht werden. Da braucht es mehr Autonomie.

STANDARD: Wie weit können Direktoren derzeit Spielräume nutzen, um Integration zu ermöglichen?

Schrodt: In der Oberstufe kann man genau diese Jugendlichen als außerordentliche Schüler und Schülerinnen nehmen. Im Gegensatz zur Unterstufe. Wenn sie dort die Voraussetzungen nicht erfüllen, dann müssen sie in die Hauptschule. Allerdings ist die Oberstufe der Gymnasien nicht dafür gerüstet, um diese Kinder fördern zu können. Man muss bei uns die gesetzlichen Möglichkeiten sehr gut kennen, um etwas zu erreichen. Man kann nicht sagen: Weil es irgendwie funktioniert, ist es in Ordnung. Es ist nicht in Ordnung.

STANDARD: Ein Blick in die Volksschulen zeigt umgekehrt: Viele Lehrer schieben Kinder, die nicht gut Deutsch sprechen, in die Sonderschule ab.

Schrodt: Ja, nicht nur dort. Aber in der Volksschule ganz besonders.

STANDARD: Soll die Sonderschule abgeschafft werden?

Schrodt: Auf jeden Fall sollte sie von der inklusiv geführten Schule abgelöst werden. Allerdings ist darauf zu achten, dass die notwendigen Ressourcen ebenso vorhanden sind wie die dafür ausgebildeten Lehrpersonen. Eines ist klar: Es verlagert sich dann einfach mehr in die Hauptschulen. In der Steiermark werden jetzt schon viele Pflichtschulen inklusiv geführt.

STANDARD: Im Regelunterricht bekommen diese Kinder dann das Etikett "sonderpädagogischer Förderbedarf" verpasst. Ist das ein probates Mittel, um intensivere Förderung sicherzustellen, oder soll der auch weg?

Schrodt: Viele Schulen bekommen auf diesem Weg mehr Ressourcen und glauben, dadurch die Kinder besser fördern zu können. Da steckt also nicht unbedingt immer böse Absicht dahinter. Hat ein Kind aber im Zeugnis "sonderpädagogischer Förderbedarf" am Ende der Schulpflicht stehen, ist das eine Stigmatisierung. Damit hat es dann sehr schlechte Chancen, eine Lehrstelle oder weiterführende Schule zu finden. Warum wird das überhaupt im Zeugnis ausgewiesen?

STANDARD: Wie können Schulstandorte mit benachteiligter Schülerpopulation dann ausreichend gefördert werden?

Schrodt: Ganz einfach: Es sollen nicht alle Schulen gleich viel Geld erhalten. Jene mit besonderen Herausforderungen müssen besser ausgestattet sein. Das könnte nach Kriterien des Sozialindex, also Faktoren wie Armutsgefährdung, Migrationshintergrund, gewichtet werden. Das wäre der Versuch eines Ausgleichs. Die Niederlande machen das seit circa 16 Jahren so.

STANDARD: Zumindest in Wien ist die gängige Praxis so, dass man schon beim Kleinkind beginnt, Schulen zu screenen. Es kann nicht die Nächstbeste sein.

Schrodt: Das ist ein Mittelschichtphänomen. Der deutsche Soziologe Heinz Bude nennt das Bildungspanik. Bildung ist das wichtigste Aufstiegs- und Absicherungsmittel, sie ist die Zukunftsgarantie. Daher versucht man seine Kinder in die bestmögliche Ausbildung zu bekommen. Das zeigt sich übrigens auch bei Zuwanderern, wenn sie ökonomisch abgesichert sind. Da fangen sie genauso an, Schulen mit geringem Ausländeranteil zu suchen an.

STANDARD: Es gibt zig Studien, wissenschaftliches Material in Fülle - warum ändert sich trotzdem nichts?

Schrodt: Das liegt an der Ideologisierung des Themas. SPÖ und ÖVP blockieren sich gegenseitig, lassen keine Veränderung zu.

STANDARD: Sie haben beim Bildungsvolksbegehren mitgemacht. Davon ist drei Jahre später nichts übrig. Ernüchtert?

Schrodt: Wir haben schon sehr stark auf einen Impuls gehofft. Vor allem aus der Zivilgesellschaft. Dass dann nur 400.000 das Volksbegehren unterstützt haben, war enttäuschend.

STANDARD: Ihre Erklärung?

Schrodt: Es gibt sicher sehr, sehr viele Eltern, die mit dem Schulsystem unzufrieden sind. Wieso wir sie nicht erreichen konnten? Vielleicht hatten wir zu viele Forderungen, oder sie waren zu kompliziert formuliert. Oder die Menschen haben gewusst, was mit Volksbegehren normalerweise passiert: Sie werden in der Schublade verräumt. (Peter Mayr, Karin Riss, DER STANDARD, 27.8.2014)