Die Inselwölfe von British Columbia sind kleiner und weniger aggressiv als ihre Artgenossen auf dem kanadischen Festland.

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Das Bonmot "Man ist, was man isst" gilt nicht nur für Menschen, sondern auch für wilde Tiere in Kanada, konkret für den nordamerikanischen Grauwolf (Canis lupus). Jene Wölfe, die auf westkanadischen Inseln im Pazifik leben, haben eine ganz andere Speisekarte als ihre Artgenossen auf dem Festland. Sie fressen Lachse, Robben, Krebse oder auch angeschwemmte Wale. Ihre Nahrung ist einer der Gründe, warum sie sich von den Wölfen im Innern des Landes genetisch unterscheiden, wie Chris Darimont, Biologieprofessor an der Universität Victoria, herausgefunden hat.

Obwohl Inselwölfe derselben Spezies angehören wie die Festlandwölfe, sind sie anders: In ihrem Kot, der in freier Wildbahn eingesammelt wurde, fand der kanadische Forscher Unterschiede in den DNA-Sequenzen. Das ist der wissenschaftliche Beweis für ein sogenanntes Merkmalsgefälle. Dieses genetische Gefälle innerhalb derselben Art geht auf die unterschiedliche Umgebung zurück, in der die Wölfe im Westen Kanadas leben.

Die Inselwölfe führen eine beinahe friedliche Existenz auf den idyllischen Eilanden vor Kanadas Westküste. Die Festlandwölfe hingegen leben meist in rauen, zerklüfteten Berggebieten, und sie stehen im Wettbewerb mit den Grizzlybären. Sie jagen Großwild wie Hirsche, Elche und Bergziegen. Daraus haben sich unterschiedliche physiologische Anpassungen in den Wolfspopulationen herausgebildet, so Darimont.

Die Festlandwölfe, die auf ihrer Nahrungssuche ein riesiges Territorium abwandern müssen, sind größer und kämpferischer als die Inselwölfe, deren Nahrung bis zu 75 Prozent aus Meeresfrüchten und Fischen besteht.

Spezielle Fähigkeiten

Die Inselwölfe haben spezielle Fähigkeiten entwickelt: "Sie graben Muscheln aus dem Sand und verschlingen sie ganz", sagt Darimont. "Sie fressen auch Muscheln, die an Treibholz kleben." Die sanfteren Inselwölfe müssen sich nicht mit Grizzlybären herumschlagen, und das einzige Großwild in ihren Jagdgründen sind Hirsche.

Gemäß Darimonts Studie paaren sich Inselwölfe auch häufiger als die Festlandwölfe. Denn auch hier zeigt sich ein markanter Unterschied: Während junge Wölfe oft im Alter von zwei Jahren die Ursprungsfamilie verlassen und ein neues Territorium suchen, bleiben viele Männchen auf den Inseln lieber in ihrer vertrauten Umgebung. "Die Inselwölfe leben sozusagen am Rande des Planeten, mit zwei Pfoten auf dem Land und zwei Pfoten im Wasser", sagt Darimont. Den Ureinwohnern in der kanadischen Westprovinz British Columbia war der Unterschied zwischen den Insel- und Festlandwölfen schon länger vertraut. Sie nannten sie "timber wolves" (Waldwölfe) und "coastal wolves" (Küstenwölfe).

Es war auch ein indianischer Jäger namens Chester Starr vom Stamm der Heiltsuk, der Darimont den Anstoß zu seiner Untersuchung gab. So haben nun aufmerksame Beobachtungen kanadischer Ureinwohner mithilfe der Studie Darimonts eine wissenschaftliche Begründung gefunden. (Bernadette Calonego aus Vancouver, DER STANDARD, 27.8.2014)