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Beehrt das Jazzfest in Saalfelden: der US-Saxofonklassiker Archie Shepp.

Foto: REUTERS/Herwig Prammer

Saalfelden - Würde nach dem allerletzten Programm des schwer reformbedürftigen Jazzfests Wien geurteilt - es wäre die Diagnose bedrückend: Jazz schiene fast nur noch aus Al Jarreau, ein paar in Clubs zu versteckenden Talenten und blassem vokalem Glitzerentertainment zu bestehen, das sich an seine beste Zeit selbst nicht mehr erinnern kann. Alle Jahre wieder wirkt deshalb ein Besuch beim Festival in Saalfelden beruhigend. Hier mixt man neue Strömungen mit Klassikern. Hier herrscht - trotz aller Buntheit und punktueller Missgriffe - die Tendenz, darzustellen, was aktuelle Improvisation ausmachen kann.

Etwa anhand der Kunst von Saxofonist Archie Shepp: Der Genreklassiker, der das Festival am Sonntag mit dem Trio des deutschen Pianisten Joachim Kühn beendet, ist einer der großen Stilisten. Töne sind bei ihm Träger von Emotionen wie Geschichten und Shepps Soli Kunstwerke der Unberechenbarkeit: Filigranste Poesie mutiert zum aggressiven Schrei; tonale Linien werden in freitonalen Ausbrüchen dekonstruiert. Shepp schöpft bei seiner spontanen Rhetorik aus dem vollen Stilarchiv der Jazzgeschichte. Seine Unverwechselbarkeit, eine Art erdige Abstraktheit, trägt auch die Spuren von Shepps Anfängen in sich. Nach Kontakten mit traditionellen Formen (auch Blues und Gospel sind ihm wichtig) wird Shepp in den 1960ern zorniger Teil der freejazzigen Revolution und dabei zum Sprachrohr der afroamerikanischen Befreiungsbewegung.

Ist ein Weilchen her. Doch wiewohl Shepp, den John Coltrane unterstützte, mittlerweile musikalisch gütiger geworden ist, bleiben Diskriminierung und Unterdrückung Themen, die mit Substanz behandelt werden: Bisweilen regiert einfach große melancholische Magie, wenn Shepp etwa in einem Stück wie Steam singend an seinen Cousin erinnert, der als 15-Jähriger ermordet wurde.

Viele Individualisten

Rein musikalisch gesehen zeigt Shepps Zugang: Es ist einerlei, welchen Stil man praktiziert und wie viele Stile man mixt - am Ende entscheidet ein individueller, intensiver Tonfall über Aktualität und Relevanz eines Künstlers.

Belege für diese These finden sich heuer in Saalfelden zuhauf: Da wäre etwa Saxofonist Henry Threadgill (tritt am Samstag auf), der als Komponist einen ganz eigenen Stil entwickelt hat. In Saalfelden wird er des 2013 verstorbenen Trompeters Butch Morris gedenken, der seine Bands mit einer speziellen Zeichensprache dirigierte. So wird Threadgill diese im Jazz singuläre Art, Improvisationen gestisch zu organisieren, mit seinem Septett aufleben lassen.

In puncto Individualität ist auch Gitarrist Marc Ribot zu erwähnen. Nach strengen Kriterien kein großer Techniker, ist der Amerikaner allerdings vom Sound her unverwechselbar und dabei auch fähig, mit widerborstigen Statements musikalische Situationen energisch aufzuladen. Ribot, stilistisch sehr flexibel, ist auf der großen Bühne solo zu hören. Er wirkt jedoch auch an den Short Cuts mit, jenem am Donnerstag beginnen Subschwerpunkt, der sich noch experimenteller gibt als das Hauptprogramm. Er trifft dabei seinen Saitenkollegen Nels Cline.

Saalfelden umgeht aber auch nicht das hierzulande anspruchsvoll Produzierende. Da hört man den Pianisten Philipp Nykrin im Quartett, hört Christian Mühlbachers fetzige Großformation. Und man erlebt schließlich die Saxofonisten Herwig Gradischnig und Max Nagl zusammen mit Bassist Peter Herbert und Schlagzeuger Michael Vatcher. Die vom Wiener Jazzfest geschlagenen Wunden können also heilen. (Ljubiša Tošić, DER STANDARD, 28.8.2014)