Stolz präsentiert er erbeutete Raketen und selbstgebaute Granaten und schreibt über das "schöne Gefühl beim Einschlafen", wenn im Keller unter ihm 45 Soldaten des Assad-Regimes aufs "Schlachten" warten: Der Wiener Firas H., der sich in der syrischen Stadt Raqqa der Gruppe "Islamischen Staat" (IS) angeschlossen hat, betreibt mit seinem Facebook-Profil einen Propaganda-Kanal, dem immer mehr junge Menschen folgen. Mehr als 1.000 "Freunde" hatte H. mit seinem Nutzerprofil, das immer wieder gelöscht wird, gesammelt. Vergangenes Wochenende erfolgte eine weitere Neugründung, bis dato hält er schon wieder bei hunderten Freunden aus Österreich.

Firas H. wird mittlerweile von Interpol gesucht.
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Zwischen Humor und Brutalität

H. gefällt seine Popularität, er schreibt nicht ohne Selbstironie: etwa vom "ISIS-Eis", das "radikalisiert". Er teilt Memes der Comicfigur Spongebob und zeigt seinen Ventilator. Dazwischen: grausame Details. Im Hintergrund des Ventilator-Fotos ist auf einem Laptop etwa das Video der Enthauptung des US-Journalisten James Foley zu sehen. In anderen Postings glorifiziert er den Selbstmordanschlag "eines Bruders", droht mit einem neuen Terroranschlag in der Dimension der Attacken vom 11. September 2001 – und freut sich, wenn Zeitungen über ihn berichten.

Am Montag durfte er sogar mit dem Sender Puls 4 einen Facebook-Chat führen und über seine Motive plaudern. Präsentiert wurde er dabei als "Kämpfer" und "wohl gefährlichster Österreicher"; dass er aber selbst gekämpft hat, dafür gibt es keine Hinweise. H. postet stattdessen täglich auf Facebook und scheint 24 Stunden Internetzugang zu haben. Auf bisher von ihm veröffentlichten Videos sind vor allem Räume mit Laptops und Videoausrüstung zu sehen.

Vielmehr verdichten sich die Hinweise, dass H. Mitarbeiter in einem der zahlreichen PR-Teams des Islamischen Staates zu sein scheint. Solche Teams sind bei allen großen Ereignissen und Kämpfen der Islamistenmiliz mit dabei, filmen und schneiden Videomaterial, das wenig später in Social-Media-Kanälen veröffentlicht wird. Darauf deutet auch hin, dass er unmittelbar nach dem Tod von Abu Mosa, Presseoffizier der IS in Raqqa, dessen Videoausrüstung auf Facebook präsentierte und über seine gemeinsamen Erlebnisse mit ihm erzählte.

Europäer als Kanonenfutter?

H. soll einer von rund 130 Personen sein, die von Österreich nach Syrien und in den Irak gereist sind, um für die IS zu kämpfen. Etwaige Rückkehrer werden vom Staatsschutz beobachtet. Die Behörden vermuten, dass österreichische IS-Kämpfer vor allem zu "logistischen Aufgaben" eingesetzt werden, also nicht an vorderster Front kämpfen. Deutsche Behörden widersprechen dieser Darstellung, laut der "Süddeutschen Zeitung" werden europäische IS-Kämpfer zu Selbstmordanschlägen gedrängt oder als Kanonenfutter missbraucht.

Social Media als Rekrutierungstool

In den Irak und nach Syrien gelockt werden die jungen Europäer – darunter auch einige junge Männer ohne Migrationshintergrund, die konvertiert sind – auch durch eine ausgeklügelte Social-Media-Kampagne. Bilder von Eis, Keksen und Ventilatoren – wie die oben erwähnten – sind dabei Teil des Image-Plans. Natürlich spielt sich das Anwerben auch im persönlichen Kontakt ab, Facebook und Co liefern allerdings nur den Nährboden und sorgen für die erste Indoktrination mit dem Gedankengut der IS.

Heimische Jugendliche halten stolz eine Fahne mit islamistischer Symbolik in die Kamera.
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Strikte Kontrolle

Welche Inhalte dabei nach Europa gelangen, wird von den IS-Pressebüros vermutlich genau überwacht (wohl auch aus Angst, zu viele Informationen Geheimdiensten zu offenbaren). So beschwert sich der aus Wien stammende Syrien-Kämpfer Firas H. etwa, dass er einige "lustige Videos" von der Eroberung des Militärflughafens nahe dem syrischen Raqqa nicht veröffentlichen darf. Auch für das Puls-4-Interview gab es Einschränkungen von seinen Vorgesetzten.

Zwischen Bermudadreieck und IS-Terror

Firas H.s Propaganda trifft hierzulande auf fruchtbaren Boden. Viele Jugendliche kommentieren und teilen jeden Beitrag H.s, auf ihrem eigenen Profil bitten sie aber um Likes für ihr Selfie-Profilbild und teilen Bilder vom Fortgehen im Wiener Bermudadreieck.

Viele fühlen sich von der "Videospiel"-Optik der IS-Propaganda angesprochen, sie wollen mit den Symbolen der Terrorgruppe wohl auch provozieren und sich abgrenzen. Oft entwickelt sich auch Gruppendruck.

Der Teufel kommt aus Israel

Ideologischen Antrieb hat ihnen der Konflikt zwischen Israel und Gaza geliefert. Bilder aus Gaza – auch gefälschte oder falsch zugeordnete – schwappen über die sozialen Netzwerke in ihr Leben und radikalisieren sie. Oft vermischt mit Antisemitismus, auf vielen Profilen wurde etwa ein bizarres Video geteilt, das ein verunstaltetes israelisches Baby zeigen soll – oder, so die Interpretation der Nutzer: die Ankunft des Teufels als Israeli.

Viele Profile sind öffentlich und damit für jeden einsehbar – der Wunsch nach Aufmerksamkeit ist oft größer als die Angst vor den Behörden. Verstärkt wird deswegen auch abseits von Facebook eindeutige islamistische Symbolik öffentlich in Form von Jacken, Kappen oder anderen Kleidungsstücken in die Öffentlichkeit getragen.

Oft erfolgt der erste Kontakt auf Facebook, angeworben wird dann im echten Leben.
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Jesiden-Hetze

Einige Nutzer hetzen auch gegen die Minderheit die Jesiden, die vor einigen Wochen beinahe einem Genozid zum Opfer gefallen wären. Zigtausende Jesiden, Anhänger einer religiösen Minderheit im Nahen Osten, waren von der IS im Sindschar-Gebirge eingekesselt worden. Nur durch Luftbrücken und ein Eingreifen der kurdischen Peschmerga konnten sie gerettet werden. Auf Facebook wird deutlich, dass der Hass auf Jesiden auch nach Österreich geschwappt ist.

Auch der Hass auf Jesiden ist in Österreich präsent.
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Waffenkauf

Wie viel Gefahr von den mutmaßlich Radikalisierten tatsächlich ausgeht, ist unklar. Ein Nutzer fragt in die Runde, ob ihm jemand zwei, drei Pistolen verkaufen kann – denn es gibt "ein paar zu viele Menschen auf der Welt". In den Kommentaren schränkt er ein, er sei aber nicht "so blöd, das in Österreich zu machen". Andere posieren mit Pistolen, deren Echtheit sich aufgrund der Bilder nicht überprüfen lässt.

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Reaktion: Vorratsdatenspeicherung

Österreichs Sicherheitsbehörden wollen jetzt ihre Ressourcen für Internetüberwachung verstärken und sogar die Vorratsdatenspeicherung wiedereinführen. So begründete Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) seinen Vorschlag für eine Neuregelung explizit mit der jihadistischen Gefahr. Behörden beschweren sich über nicht ausreichende Kompetenzen, können Facebook-Profile etwa nur mit richterlichem Beschluss durchsuchen.

Die Justiz will künftig leichter auf Profile zugreifen können.
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Auch die Verbreitung von IS-Symbolen, -Fotos und -Videos könnte bald selbst ein Straftatbestand sein – zumindest wenn es nach Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) geht. (fsc, derStandard.at, 1.9.2014)