Wien - Der Neue wird wohl aus der Ministerriege herausstechen. Markenzeichen von Hans Jörg Schelling ist ein herzhafter, angegrauter Schnauzbart - ein in der Politik rar gewordener Gesichtsschmuck. Und auch die Vita hebt ihn vom Mainstream ab: Im Gegensatz zu den Vorgängern setzt Schelling zum Sprung in das Finanzministerium an, ohne sich unmittelbar davor in Regierung, Nationalrat oder einem vergleichbaren Amt angedient zu haben.
Noch - bis Redaktionsschluss am Freitagabend - hat der neue ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner die Kür nicht offiziell bestätigt, noch fehlt der Sanktus der zuständigen Parteigremien. Doch es gilt als sehr wahrscheinlich, dass Johann Georg Schelling, besser bekannt als Hans Jörg, das vielleicht einflussreichste Amt im Staat übernimmt. Mitterlehner würde damit einen Mittelweg zwischen Politprofi und Expertentum wählen: Denn obwohl Schelling nicht an der vordersten Front stand, ist er beileibe kein Greenhorn.
Politische Spuren hinterließ der 60-Jährige, der sein Geld viele Jahre als Manager der Möbelhäuser Leiner/Kika und Lutz verdiente, ab der Jahrtausendwende: 2001 wurde er Stadtrat in St. Pölten, 2004 Vizepräsident der Wirtschaftskammer (was er bis heute blieb), von Februar 2007 bis Oktober 2008 saß er für die ÖVP im Nationalrat. Zum Ministeramt prädestiniert haben ihn aber seine fünfeinhalb Jahre als Chef des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger seit 2009. In dieser Funktion pflog Schelling engen Kontakt zu Politikern - zuletzt in Sachen Gesundheitsreform.
Abgesehen vom Umstand, kein unpolitischer "Fachtrottel" zu sein, erfüllt der gebürtige Hohenemser noch eine weitere Vorgabe Mitterlehners. Er ist kein Gefolgsmann einer Landes-VP - im Gegenteil: In seiner St. Pöltener Zeit soll sich der selbstbewusste Schelling massiv mit Landesrat Wolfgang Sobotka überworfen haben, worunter sein Standing in der mächtigen niederösterreichischen ÖVP bis heute kranke.
Zum dritten Mitterlehner'schen Kriterium - keiner aus der Bankenbranche - gerät Schelling allerdings in Widerspruch: Seit April 2012 ist er Aufsichtsratsvorsitzender der Österreichischen Volksbanken-Aktiengesellschaft (ÖVAG), die pikanterweise seit der Krise massiv vom Staat mit Steuergeld gestützt wird.
Eine breite Brust sagt man in der ÖVP auch einem zweiten Kandidaten auf ein Regierungsamt nach: Harald Mahrer, dem potenziellen neuen Staatssekretär im von Mitterlehner geführten Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium. Schon die von ihm verfügbaren Fotos weisen auf einen Hang hin, sich ins Szene zu setzen: Mahrer posiert gerne stylisch - mal in feinen Anzügen, mal mit auffälligen Accessoires wie bunten Halstüchern und lila Hosenträgern.
Öffentlichkeitswirksame Auftritte gehören zu Mahrers beruflichem Handwerk: Von 2006 bis 2010 war der Absolvent und Ex-ÖH-Chef der Wirtschaftsuniversität geschäftsführender Gesellschafter der PR- und Lobbyingagentur Pleon Publico. Seit 2011 ist er Geschäftsführer der Tauern Holding Beteiligungsgesellschaft.
Wichtiger für den möglichen Karrieresprung: Seit drei Jahren leitet Mahrer die Julius-Raab-Stiftung, den Thinktank des ÖVP-Wirtschaftsbunds. "Leistung" und "Verantwortung" sind Werte, die der 41-Jährige hochhält, um gleichzeitig gegen die "Lüge des Vollkaskostaates" anzutreten. Seine Vordenkerfunktion lebt Mahrer auch im unter dem Titel "Evolution" firmierenden Parteireformprozess aus - zuletzt in einem Gastkommentar im Standard.
Vor einem Jahr hat der Wiener bereits einen politischen Einstieg versucht, doch sein Griff nach einem Nationalratsmandat schlug trotz eigener Kampagne und prominenter Fürsprecher wie Ex-Parteichef Josef Pröll und Niederösterreichs Landesrat Stephan Pernkopf fehl. Auch diesmal könnte das Projekt noch scheitern: wenn der Bauernbund oder eine andere ÖVP-Lobby einen Aufstand macht, weil mit Schelling und Mahrer gleich zwei Wirtschaftsbündler vor der Tür stehen.
Eine weitere Rochade dürfte in der SPÖ anstehen: Sonja Steßl soll weiterhin die Steuerreform vorantreiben, könnte als Staatssekretärin aber vom Finanzministerium ins Kanzleramt wechseln - damit sie, so die interne Argumentation, nicht mehr formal den Weisungen des Finanzministers unterstehe. Offiziell bestätigt wird das nicht; eine Entscheidung soll erst fallen, wenn das VP-Personal feststeht. (Gerald John, Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 30.8.2014)