Je höher die Bebauungsdichte in einem Quartier, desto höher ist die Qualität und Pflege der öffentlichen Freiräume.

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Alpbach - Vergessen Sie alles, was Sie bisher über das Thema Stadt zu wissen glaubten! So könnte man die Essenz der heurigen Baukulturgespräche beim Europäischen Forum Alpbach beschreiben. Unter dem Motto "At the Crossroads. Lebenswerte und gerechte Städte schaffen" wurden viele bekannte Bilder und Statistiken hinterfragt, vor allem aber befassten sich die Vorträge, Podiumsdiskussionen und Workshops mit ungewöhnlichen und bisweilen recht radikalen Ansätzen zum Thema Leistbarkeit und Wohngenuss.

Kleine, informelle Strukturen

Es dürfe nicht alles als Kollektiv betrachtet werden. "Ein gewisser Egoismus kann die Stadt und Nachbarschaft durchaus befruchten", erklärte die an der Columbia University lehrende Soziologin Saskia Sassen. "Ein Migrant kommt, macht einen Shop auf, weil er selbstständig sein und von irgendetwas leben muss, und am Ende profitiert die gesamte Nachbarschaft davon." Kleine, informelle Strukturen seien wichtig. Große, spekulative, womöglich sogar leerstehende Quartiere, so Sassen im Gespräch mit dem STANDARD, würden die Stadt auf lange Sicht "deurbanisieren".

Das war's dann mit der viel zitierten Dichte und Lebendigkeit. Doch genau diese ist, wie Architekt Dietmar Eberle in seinem Vortrag unterstrich, unverzichtbar. In einer von ihm in Wien, München, Berlin und Zürich durchgeführten Studie stellte er fest: Je höher die Bebauungsdichte in einem Quartier, desto höher ist die Qualität und Pflege der öffentlichen Freiräume und desto besser ist das Viertel fußläufig und mit öffentlichem Verkehr an die restliche Stadt angeschlossen.

Paradoxon

"Es ist ein Paradoxon, doch in den letzten Jahrzehnten haben wir in Mitteleuropa den Fehler gemacht, dass wir die Neubaugebiete viel zu dünn bebaut haben, zumal sich Politik, Wohnbauträger und Investoren häufig mit großer Luftigkeit rühmen." Auch in der Wiener Satelliten-Seestadt Aspern, so Eberle, sei die Bebauungsdichte viel zu niedrig angesetzt. "Das ist eine Siedlung. Hier wird niemals Stadt entstehen."

Dass es mitunter gelingt, sogar in extrem dicht bevölkerten Städten so etwas wie Lebensqualität zu sichern, erklärte Ljiljana Blagojevic, Professorin an der Universität Belgrad. "Dichte ist nie das Problem, auch nicht in einer Stadt mit so vielen städtebaulichen Schwächen und Fehlern wie Belgrad, wo wir heute mit abgewohnten sozialistischen Wohnbauten zu kämpfen haben. Es geht nur darum, was man mit dieser Dichte macht. Wir müssen lernen, die Potenziale zu erkennen. Und die gibt es immer."

Leerstandssteuern und Strafen

Als Fazit der diesjährigen Baukulturgespräche könnte man sagen: 1. Dichte bringt Leben. 2. Dichte sorgt für geringeren ökonomischen Druck und ist somit ein Garant für Leistbarkeit. Und 3. Selbst im baulichen Bestand lässt sich die Dichte erhöhen, indem man die bisweilen hohen Leerstände in Wohnhäusern (Stichwort Spekulation) eliminiert. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, wäre die Einführung von Leerstandssteuern und Strafen für spekulativ vom Wohnungsmarkt zurückgehaltene Objekte. Das ergaben die Workshops der Teilnehmer. Selten zuvor waren die Baukulturgespräche radikaler und erfrischender. Da kann man ansetzen. (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 30.8.2014)