Kämpfer aus Syrien übermitteln nicht nur Bilder von Gewaltexzessen an potenzielle Rekruten.

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Die IS-Propaganda zeigt etwa, wie nach Kämpfen in Swimmingpools "gechillt" wird.

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Propagandamagazine wie "Dabiq" werden als PDF verbreitet, sollen ausgedruckt und dann verteilt werden.

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Die IS-Kämpfer erstellen Infografiken für ihre Behörden, geben Fortschrittsberichte heraus.

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Das US-Außenministerium reagiert mit einer rhetorisch brutalen Gegenkampagne.

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Abgetrennte Köpfe, Videos von Massenerschießungen: Mit diesen Inhalten schafft es die blutige Propaganda des "Islamischen Staats" in die westlichen Medien. Kein Wunder: Die Entrücktheit und Brutalität der IS-Medienkampagne ist ihr herausragendstes Merkmal – doch nur die Spitze des Eisbergs. Denn abseits der grausamen Fotos und Videos verbreitet die IS eine Vielzahl an anderen propagandistischen Botschaften, die durchaus einige Überraschungen aufweisen.

Social-Media-Verbot für Kämpfer

Und das mit harter Kontrolle durch die "Social-Media-Verantwortlichen" der IS, die den Output ihrer Kämpfer genau kontrollieren. So war auf dem Facebook-Profil des österreichischen IS-Kämpfers Firas H. vergangene Woche zu lesen, dass ihm seine "Brüder" verboten hätten, Videos von der Eroberung des syrischen Militärflughafens nahe Raqqa zu teilen. Sein Profil ist mittlerweile von Facebook verschwunden.

Auf dem neuesten Stand

Die Propagandaverantwortlichen der IS wissen, was sie tun: Die Kommunikationsabteilung der Terrorgruppe, die in Syrien und im Nordirak ein Kalifat errichten will, bedient gekonnt sämtliche modernen Kanäle. Es ist eine "State of the Art"-Propaganda, urteilt ein Experte der CIA in der "New York Times". Ideologien aus dem vorigen Jahrhundert werden durch Apps und Services verbreitet, von denen die Mehrheit der Bevölkerung wohl noch nie gehört hat. Denn ganz abgesehen von Twitter, Facebook und Instagram setzt die IS auch auf Dienste wie das alternative Netzwerk Diaspora, das Cloud-Officeprogramm JustPaste oder den Audiodienst Soundcloud. Propagandamaterial wie das Magazin "Dabiq" wird als PDF geteilt, um dann überall gedruckt werden zu können.

Konzentration auf Kalifat

Die "New York Times" hat nun eine ausführliche Analyse der Propagandabotschaften durchgeführt. Sie kommt zu dem durchaus überraschenden Schluss, dass Angriffe auf den Westen in der Propaganda nahezu keine Rolle spielen – zumindest vorerst. IS konzentriert sich momentan darauf, eine Theokratie im Nahen Osten zu errichten, und geht dort gegen Minderheiten und Andersgläubige vor – dafür werden alle Kräfte benötigt. Dies ist auch ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber Al-Kaida: Deren ehemaliger Anführer Osama Bin Laden betonte etwa oft, wie wichtig sogenannte "Schläfer" im Westen für den Jihad seien – also Terroristen, die allem Anschein nach unauffällige, integrierte Bürger der USA oder europäischer Staaten sind.

Abkehr vom Westen

Im Gegensatz dazu zelebriert die IS eine Abkehr vom Westen. In zahlreichen Videos werden die westlichen Pässe der in den Irak oder nach Syrien gereisten Kämpfer verbrannt. Die IS ruft sogar dazu auf, dass westliche Kämpfer ihre Familien in das Kalifat holen. Auf Jihad-Selfies wird gezeigt, wie "schön" das Leben in Syrien ist. Man hat es auch lustig: Da gibt es etwa "ISIS-Eis", das "radikalisiert". Oder Swimmingpools, in denen man sich vom Kämpfen erholt ("Vice" hat dazu eine Übersicht erstellt).

Ausnahmen

Allerdings gibt es zwei Ausnahmen, die gegen die Irrelevanz des Westens sprechen: einerseits der Anschlag in einem jüdischen Museum in Belgien, der einem ehemaligen IS-Kämpfer zugeordnet wird. Andererseits die Enthauptung des US-Journalisten James Foley. Doch die Foley-Enthauptung wird propagandistisch als Reaktion auf die Luftschläge gegen IS verkauft, die US-Präsident Barack Obama angeordnet hatte. Außerdem sei Foley ein verdeckter Kämpfer auf Feindesgebiet gewesen, so die IS.

Einzelkämpfer

Der Anschlag in Belgien vom vergangenen Mai zeigt hingegen eine andere Gefahr: die der nach Europa zurückkehrenden IS-Kämpfer, die auf eigene Faust Terroranschläge durchführen. Denn momentan deutet alles darauf hin, dass der Anschlag im jüdischen Museum in Brüssel eine Einzelaktion und nicht durch die IS koordiniert war – ganz im Gegenteil zu anderen Terroranschlägen, die von Al-Kaida orchestriert wurden. Gefährlich wird es, so westliche Nachrichtendienste, also vor allem zu jenem Zeitpunkt, an dem die IS militärisch geschlagen wird, zerbröckelt und perspektivlose junge Männer (und Frauen) im Kriegsrausch nach Europa zurückkehren.

Expansionspolitik

Über die Frage, wann dies so weit sei, findet momentan eine heftige Debatte statt. So werde sich die IS mit ihrer Expansionspolitik wohl bald übernehmen, wobei die näheren strategischen Ziele laut einem Bericht der "ZEIT" (Printausgabe) unklar seien: Geben sich die Terroristen zufrieden, sobald sie die irakische Hauptstadt Bagdad erobert haben? Wollen sie die Kurdengebiete im Nordirak? Wandern sie Richtung Iran? Oder erkennen die Militärstrategen der Terroristen, dass sich ihre Truppen alsbald überheben werden, und ordnen einen temporären Stopp der Ausdehnung an?

Bürokratie auch im Kalifat

Denn dann spielt die Stabilisierung des "Staatsgebiets" eine wichtige Rolle. Ein Projekt, das jetzt schon nachhaltig betrieben wird – auch das spiegelt sich in der IS-Propaganda wider. So sind Teile der IS-Kommuniqués überraschend bürokratisch: Mehrmals im Jahr werden Fortschrittsberichte ausgegeben. Sie zeigen in Infografiken (siehe Bild links), wie viele Waffen erbeutet, Städte erobert oder Selbstmordanschläge durchgeführt wurden. Im zuvor erwähnten Service JustPaste werden Statistiken geteilt, die den noch improvisierten Behörden des Terrorkalifats einen Überblick verschaffen sollen.

Staatsgebiet als Propaganda-Asset

Dass so etwas wie staatsähnliche Strukturen überhaupt erreicht wurden, ist für die IS-Propaganda im Gegenzug beinahe unbezahlbar wichtig. Denn während Osama Bin Laden jahrzehntelang von der Errichtung eines Kalifats sprach, hat die IS dies – zumindest ansatzweise – in wenigen Monaten erreicht. Das liefert der Überzeugungskraft der religiös-faschistoiden Propaganda enormen Antrieb. Vor allem seit der Eroberung von Mossul sehe man einen enormen Zulauf an Rekruten, erklärt die CIA gegenüber der "New York Times". Die Internetpropaganda übermittle das Gefühl, dass im Nahen Osten etwas Großes passiere, und das nur jetzt – dass man also nicht abwarten könne.

Je nach Sprache variiert Inhalt

Dabei differenziert die IS-Propaganda je nach Sprache stark: Videos und Fotos werden in sieben Sprachen (auch Deutsch) herausgebracht, die Tonspur ist aber oft keine 1:1-Übersetzung. Inhalte werden exklusiv für den Zielort erstellt – Medien auf Arabisch seien generell brutaler, heben mehr den Kampf gegen die muslimischen Schiiten hervor; Botschaften auf Englisch spielen hingegen mit dem sozialen Status der Immigranten in Westeuropa und den USA, weisen eine Videospieloptik auf.

Sperren? Überwachung?

Wie der Propaganda begegnet werden kann, ist derzeit mehr als unklar. Nach dem Schock des Foley-Enthauptungsvideos beginnen Facebook und Twitter mit Sperren und Verboten gegen propagandistisch tätige Nutzer. Staatliche Sicherheitsbehörden fordern weitreichende Überwachungsmaßnahmen, etwa den Zugriff auf Nutzerprofile und die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung – das forderte am Sonntag auch Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP).

Gegenkampagne nimmt langsam Fahrt auf

Andere wollen eine Gegenkultur schaffen, etwa das US-Außenministerium, das jetzt den Hashtag und der Facebook-Page #ThinkAgainTurnAway ("Denk noch einmal nach, wende dich ab", Anm.) eingeführt hat.

Auf viel Resonanz ist die Aktion noch nicht gestoßen – im Gegenteil: Während sich Tweets von IS-Kämpfern, die sich über den Hashtag lustig machen, schnell über Twitter verbreiteten, nahm die Aktion des State Departments nur langsam an Fahrt auf. Auch sie setzt auf Brutalität: Bilder von gefallenen IS-Kämpfern und Nazi-Analogien sollen potenzielle Rekruten aufwühlen und abschrecken. (fsc, derStandard.at, 1.9.2014)