Politik ist auch eine Frage der Inszenierung. An der Sommertagung des Parti Socialiste (PS) in La Rochelle ließ Manuel Valls seine Anhänger bewusst in den vorderen Zuschauerrängen platzieren, und ihre Fahnen nahmen den TV-Kameras die Sicht auf den Saal. Dort gelang es den "frondeurs" trotzdem, den Beginn der Rede zu stören: Immer wieder skandierten die Aufständischen vom linken Parteiflügel "Vive la gauche" – es lebe die Linke.

Es war der entscheidende Moment der ganzen "Sommeruniversität". Bei der dreitägigen Veranstaltung der Sozialisten drehte sich alles um die Frage, ob der zum rechten Parteiflügel zählende Premier nach dem Rauswurf von Linksabweichlern aus der Regierung weiter auf die Unterstützung seiner Partei zählen kann. Und damit auf seine ganze Parlamentsfraktion: Die 191 PS-Abgeordneten kommen in der Nationalversammlung nur auf eine hauchdünne Mehrheit von zwei Stimmen – inklusive der 33 "frondeurs".

"Keine Austerität"

Zuerst sichtlich destabilisiert, fing sich Valls nach ein paar Minuten und zog in einer einstündigen Rede alle rhetorischen Register. Betont gravitätisch unterstrich er die Schwere der französischen Wirtschaftskrise – sicher auch, um die Buhrufe deplatziert klingen zu lassen. Seine Überzeugungen nicht verhehlend, bezeichnete der Premier das Budgetdefizit und die Steuern in Frankreich als "unerträglich" hoch. Aber er fügte sogleich an, seine Regierung schaffe trotzdem Zehntausende von Jobs für Lehrer, Polizisten und Richter. "Wir betreiben keine Austerität", rief er wiederholt in den Saal, während ihm aus dem Saal die "Vive la gauche"-Rufe – dies auch der neue Name des linken Parteiflügels – entgegenschallten.

Den Abbau der Unternehmens-Abgaben um 40 Milliarden Euro quittierten sie mit einem Pfeifkonzert, das allerdings von den TV- und Radiomikrophonen weitgehend ausgeblendet wurde. Und wenn es lauter wurde, überdeckten es Valls' Anhänger mit tosendem Applaus. So etwa, als der Premier erklärte, seine Regierung unterstütze die Europäische Zentralbank bei ihrem neuen Wachstumskurs. Jetzt müsse ihr Vorsteher Mario Draghi aber "noch weiter gehen", fügte er an. Vergangene Woche hatte der französische Präsident François Hollande bereits vor einer Deflation mit sinkenden Preisen gewarnt.

Ambivalenter Appell

Höchst ambivalent war Valls' Aufruf, die Partei müsse Hollande zur Seite stehen. "Wir müssen ihn unterstützen, er verdient unseren Respekt, unsere Zuneigung und unsere Loyalität", meinte Valls, dem selber Ambitionen auf die Präsidentschaftswahlen 2017 nachgesagt werden. Sein leidenschaftlicher Appell zugunsten des angeschlagenen Staatschefs unterstrich nur noch die Schwäche desselben: Gerade 17 Prozent der Franzosen schenken ihm laut Umfragen noch ihr Vertrauen.

Nach Valls' Auftritt erklärten Linkssozialisten, in der Sache habe sich nichts geändert, weshalb sie die unternehmerfreundliche Politik der Regierung weiterhin bekämpften. Sollten sie entsprechende Gesetzesvorschläge in der Nationalversammlung ablehnen, verlören Hollande und Valls unweigerlich die Parlamentsmehrheit. Die Folgen wären ein Regierungssturz und Neuwahlen. Die Regierung kann zwar per Dekret vorgehen, um einzelne Parlamentsabstimmungen zu vermeiden. Das wäre aber politisch verheerend. Die Haushaltsdebatte Ende September dürfte erste Aufschlüsse über das Kräfteverhältnis in der französischen Nationalversammlung geben.

Politologen rechnen damit, dass die PS-Linke im Parlament zwar Widerstand leisten, letztlich aber nur Stimmenthaltung praktizieren wird, um Valls im Sattel zu lassen. Denn ein Regierungssturz würde in erster Linie dem rechtsextremen Front National Auftrieb geben. (Stefan Brändle, derStandard.at, 31.8.2014)