In Lily Sykes' Inzenierung spielen die Liebesbriefe von Johann Wolfgang von Goethe nur eine Nebenrolle. Hauptsächlich geht es um die amourösen Erinnerungen alter Damen.

Foto: Thomas Müller

Der Vorschlag ist charmant: Vierzehn Schriftstellerinnen sind vom Kunstfest Weimar und dem koproduzierenden Schauspiel Frankfurt eingeladen worden, in die Rolle von Charlotte von Stein zu schlüpfen und auf die über 1700 Briefe, die Johann Wolfgang von Goethe an die Weimarer Hofdame geschrieben hatte, zu antworten. Charlotte hatte nämlich die von ihr geschriebenen Briefe wieder von Goethe zurückgefordert und sie vermutlich vernichtet. Warum? Und: Was für eine Form von Nähe und Zuneigung hat zwischen Wolfgang und Charlotte geherrscht? Die Forschung sieht sich weiterhin vor viele Fragezeichen gestellt.

Die Reaktionen der vierzehn, in der Regel theatererfahrenen Schrifstellerinnen, allesamt im Programmbuch abgedruckt, sind äußerst unterschiedlich: schon allein von der Länge - einige sind nur zwei, andere gar 50 Seiten (Justine del Corte) lang. Zuweilen zeigt man sich verletzt (Gesine Danckwart), manchmal lüstern begierig (Angelika Küssendorf), ein anderes Mal aktualisierend (Sybille Berg: "Lebte ich in einer anderen Zeit würde ich sagen: Fuck ju Göthe") oder mit Sprache spielend (Nora Gomringer). Kathrin Röggla thematisiert das Goethe'sche "Netzwerken" und die "Charlotte-Stille", doch nur selten wird wie bei Judith Kuckhardt auf eine konkrete Briefstelle des Dichters eingegangen, vielmehr - allgemein - Liebe und ihr Verfehlen, Oberflächlichkeit und Tiefe von Gefühlen ausgemalt, am zärtlichsten wohl bei Gerhild Steinbuch.

Nur bedingt theatertauglich

Für einen Theaterabend taugen die Antworten allerdings nur bedingt. In der Inszenierung von Lily Sykes werden sie nur als zusätzliches Material für eine Art Kaffeekränzchen im Gewehrsaal des Schlosses Ettersburg verwendet. (In Frankfurt wird der Spielort dann die "Freimaurerloge zur Einigkeit" sein.) Sechs Weimarer und drei Frankfurter Bürgerinnen, vornehm weiß gekleidet, mit einem Blumenkranz auf dem Kopf, "die mit viel Erfahrungen in Lebens- und Liebesdingen aufwarten können", sind um ein Klavier versammelt. Dabei verfallen die Amateurdarstellerinnen nicht nur hin und wieder in Schlagergesang, sondern erzählen auch eigene Liebesgeschichten. Und leider wird auch die Rolle Goethes nicht ausgespart. Als junger hübscher Kellner (Anton Rubtsov) tritt er immer wieder unter die Damen und trägt ihnen Goethe-Briefe vor. Your Lover Forever ist beliebig geworden.

Die beiden Goethe-Festspiele in den konkurrierenden Goethe-Städten Weimar und Frankfurt, beide um oder kurz nach des Dichters Geburtstag am 28. August, sind noch ziemlich jung; 25 Jahre zählt das Kunstfest, acht Jahre jenes in Frankfurt. Christian Holtzhauser, der in Weimar dieses Jahr die Leitung von Nike Wagner übernommen hat, setzt im Gegensatz zum bisherigen musikorientierten Programm nun wieder verstärkt darauf, die widersprüchliche Stadtgeschichte theatralisch zu erkunden und zu inszenieren.

Gelungen ist ihm dies auf sehr überzeugende Weise bei einer Installation und geradezu dadaistischen Performance über Goethes angebliche Leidenschaft für Zebras und die Rezeption dieser Leidenschaft bis hin zu Che Guevara. Den Weimarer Stadtrundgang mit Hans Peter Litscher und dessen Ausstellung Goethes Zebra sollte man 2014 keinesfalls versäumen: Hier findet man in der Tat eine Weimar-Erkundung sowohl voller Nonsens, als auch voller intellektueller Schärfe. (Bernhard Doppler, DER STANDARD, 2.9.2014)