Die Gravuren in der Höhle gelten als Muster, die mit Absicht so angebracht wurden, dass die Neandertaler sie sehen konnten.

Foto: Stuart Finlayson

Gibraltar - Kreuzförmige Einkerbungen, die mindestens 39.000 Jahre alt sind, haben Forscher in einer Höhle in Gibraltar entdeckt. Es handelt sich dabei offenbar um Felsgravuren von Neandertalern. Höhlenkunst wurde bisher nur dem Homo sapiens eindeutig zugeschrieben.

Die Wissenschafter um Ruth Blasco und Clive Finlayson vom Gibraltar-Museum schlossen aus, dass die Vertiefungen zufällig entstanden sind. Über ihre Entdeckung berichteten sie in den Proceedings der US-Akademie der Wissenschaften ("PNAS").

Die Gorham-Höhle in Gibraltar an der Südspitze der iberischen Halbinsel mit Blick aufs Meer ist seit langem als ehemalige Behausung von Neandertalern bekannt. Die Forscher entdeckten die Gravuren auf einer etwa einen Quadratmeter großen, natürlichen Plattform, die rund 40 Zentimeter über dem Niveau des damaligen Höhlenbodens liegt.

Keine Gebrauchsspuren

Die unterste Deckschicht über der Gravur datierten sie mit geochemischen Analysen auf ein Alter von 39.000 Jahren. Die Symbole selbst müssen also älter sein. Zu der Zeit sei der moderne Mensch noch nicht in dieser Gegend angekommen, schreiben die Wissenschafter. Die in der Deckschicht gefundenen Werkzeuge werden der Moustérien-Kultur und damit dem Neandertaler zugeordnet.

Das Forscherteam unternahm eigene Einkerbungsversuche mit Kalkstein, wie er am Boden der Höhle vorliegt. So zerschnitten sie darauf mit spitzen oder klingenförmigen Steinen die Haut eines Schweins. Doch die dabei entstandenen Rillen unterschieden sich offenbar deutlich von den gefundenen Felsgravuren. Diese stellen somit keine Gebrauchsspuren dar, sondern Muster.

188 und 317 Schläge

Um die tiefsten Rillen zu erzeugen, brauchten die Wissenschafter mindestens 54 Schläge. Für die acht größeren und fünf kleineren Rillen der Felszeichnung kalkulieren sie insgesamt zwischen 188 und 317 Schläge. "Wir folgern, dass diese Gravuren ein absichtliches Muster darstellen, erdacht, um von seinem Neandertaler-Schöpfer gesehen zu werden und - unter Berücksichtigung seiner Größe und Lage - auch von den anderen in der Höhle", sagen die Forscher. Der gravierte Kalkstein war überdeckt von Schichten aus Sand, Ton und anderen Gesteinen.

Den Erkenntnissen der Forscher zufolge wanderten Phosphor- und Mangan-Ionen aus der Deckschicht in die oberste Schicht des Kalksteins. Aus dem tieferen Kalkstein selbst gelangten Magnesium und Kalzium an die Oberfläche. Diese mineralische Härtung des Kalksteins habe die Felsgravuren besonders gut konserviert. (APA/red, DER STANDARD, 2.9.2014)