Feingliedrig-mineralischer Wein aus der Hitze Siziliens: der SP 68.

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Die Strada Provinciale 68, im italienischen Straßenkodex als SP68 vermerkt, führt von Gela nach Catania, durch Oliven- und Mandelplantagen, Orangenhaine, Weizenfelder und, nicht zuletzt, durch Weingärten, so weit das Auge reicht. An der Straße liegt auch Vittoria, eine kleine Stadt am Fuße der Iblei-Berge. Es herrscht brütende Hitze. Die Straßen sind leer, keine Menschenseele ist zu sehen. Selbst am Abend wirkt die Gegend wie ausgestorben. Außer den Alten ist niemand hiergeblieben. Die Kinder sind in den Norden ausgewandert, um zu arbeiten. Sizilien zu verlassen, bedeutet immer noch eine Chance auf sozialen Aufstieg.

Ausgerechnet hier hat Arianna Occhipinti sich in den Kopf gesetzt, Wein zu machen. Das ist jetzt zehn Jahre her, damals war sie 22. Niemand hat es ihr zugetraut: eine junge Frau, allein, ohne Erfahrung im Weinbau. Mit einem Hektar Weinland hat alles begonnen, inzwischen besitzt sie 20 Hektar, ist eine der bekanntesten Weinmacherinnen Italiens und ein Aushängeschild Siziliens.

Arianna kommt aus gutsituierten Verhältnissen: Sie hätte ins Ausland gehen können, aber die eigenwillige Sizilianerin entschied sich für ein Önologiestudium in Mailand und für ein eigenes Weingut in ihrer Heimat. Im Norden hat sie gespürt, dass sie ein Kind des "Mezzogiorno" ist: "Widerstände haben mich immer angezogen." Die dunklen, mandelförmigen Augen leuchten, wenn sie das sagt.

Arianna war der Legende nach die Braut des Weingotts Bacchus - eine Analogie, die der sizilianischen Naturwein-Macherin Arianna Occhipinti durchaus nicht missfällt.
Foto: www.agricolaocchipinti.it

Ihr Onkel, Giusto Occhipinti, hat es vorgemacht. Mit zwei Freunden gründete der Architekt schon 1980 das Weingut COS in Vittoria, immer noch einer der besten Betriebe Siziliens. Zu Beginn war es ein harter Kampf für die Winzerin. Sie erinnert sich an ihre ersten Tage im Weingarten. Die alten Bauern schüttelten damals ungläubig den Kopf: "Selbst unsere Söhne weigern sich, in den Weingärten zu arbeiten, und Sie, Signorina, als Frau, wollen hier in der Erde buddeln?"

Der Traktor war's

Das habe sie erst richtig angestachelt: Die Tochter aus gutem Hause lernte den sizilianischen Dialekt, um sich mit den Arbeitern zu verständigen. Unermüdlich schuftete sie im Weingarten. Ihr önologisches Wissen hat hier niemanden beeindruckt, ihre Visionen schon gar nicht. Erst als sie mit ihrem ersten eigenen Traktor durchs Dorf fuhr, akzeptierte man sie als eine der Ihren.

Mittlerweile ist sie ein Star: Occhipintis Weine finden sich in etlichen der besten Restaurants der Welt, die "New York Times" jubelt über "die Ausnahmewinzerin aus dem Süden Italiens". In der Zwischenzeit hat sie sogar schon ihre Biografie geschrieben - A "Natural Woman." Mit gerade einmal 30 Jahren ziemlich ungewöhnlich.

Arianna Occhipinti entspricht ziemlich exakt dem Bild, das man sich gemeinhin von einer Sizilianerin macht: lange, schwarze Haare, ausdruckstarke Augen, ein überaus sinnlicher Mund. Dennoch wirkt sie ruhig, nachdenklich, beinahe scheu. Erst wenn sie über Wein spricht, über ihre Visionen und die Verbundenheit mit Sizilien, erwacht ihre Leidenschaft.

Reinsortiger Frappato

Dann wird sie zu einer Art "Jeanne d'Arc", will zeigen, wie elegant Weine aus dem heißen Sizilien sein können, aus Rebsorten, die seit jeher hier angebaut werden. Wie der Frappato, den außerhalb Siziliens kaum jemand kennt. Frappato wird fast immer verschnitten, Arianna baut ihn reinsortig aus; weil er ihr gefällt, weil sie sich in der Rebsorte erkennt: kapriziös, rebellisch und zuweilen schwer zugänglich.

Im Weingarten arbeitet sie völlig ohne Chemie, verzichtet auf Bewässerung, damit die Wurzeln tiefer dringen. Die angrenzenden Iblei-Berge sorgen zudem für Abkühlung in der Nacht. Trotz hoher Tagestemperaturen gelingen ihr elegante, mineralische Gewächse mit erstaunlich niedrigen Alkoholwerten. Im Keller verzichtet sie weitgehend auf Interventionen - nichts soll die Weine verfälschen. Zart, beinahe zerbrechlich sind sie, und das in Sizilien, bekannt für üppige Gewächse internationalen Zuschnitts.

Neue Winzergeneration

In Ariannas Augen ist das ein Irrweg: "Banale Kopien kalifornischer Cabernets interessieren mich nicht. Meine Weine erzählen von dem Land, in dem sie wachsen, und darauf bin ich stolz." Das mag gar patriotisch und verklärt klingen, ist aber ihre Mission. Sie kämpft nicht allein: Einer neuen Winzergeneration ist es gelungen, der Insel ein völlig anderes Image zu geben. Vor allem um den Etna und in Vittoria tut sich viel. Neue Winzer, die Weine nach traditionellem Vorbild machen, unverwechselbar und ziemlich gut.

Der Name "Arianna" kommt aus der antiken Mythologie: Da ist Arianna die Braut von Bacchus, dem Gott des Weines und rauschhaften Vergnügens. Das Bild gefällt Occhipinti: Wein auf technische Daten und biochemische Vorgänge, auf sensorische Analysen und Bewertungen nach Punkten zu reduzieren, erscheint ihr buchstäblich sinnlos.

Occhipinti ist trotz ihrer Jugend bereits eine Ikone der internationalen Naturweinszene - jener Bewegung, die Weine unverfälscht und ohne Eingriffe produzieren will. Dennoch sieht sie diese Art des Weinmachens auch kritisch: "Wir übertreiben es manchmal, das macht die Idee angreifbar", sagt sie.

Vor allem der Verzicht auf Schwefel als Stabilisator gilt bei vielen Experten als Todsünde. Auch der in der Naturweinszene beliebte Ausbau in Amphoren kommt für sie nicht infrage. In ihren Augen wieder eine Verfälschung. Ihre Weine sollen sich zeigen, wie sie sind, "senza trucco", ungeschminkt.

Die Strada Provinciale 68 führt auch an ihrer Azienda vorbei. Es ist die älteste Weinstraße Italiens. Zwei ihrer Weine sind nach dem aktuellen Namen dieser 3000 Jahre alten Straße benannt: SP68. Sie sind heiter und melancholisch, wie Arianna Occhipinti - Weine wie eine Reise durch Sizilien. (Christina Fieber, Rondo, DER STANDARD, 5.9.2014)