Die Schauspielerin Sibel Kekilli in einem Wollmantel von Emporio Armani, einem Seidenkleid von Agnona und Schnürschuhen von Jimmy Choo, fotografiert von Stefan Armbruster.

>> Zur Fotostrecke

Foto: Stefan Armbruster

"Verzeihung, sind Sie Sibel Kekilli?" Der Kellner in der Hamburger Hafenstadt hat noch einen Wunsch auf den Lippen, nachdem er das Tablett mit dem Cola abgestellt hat. Aus seinem Ärmel zieht er ein Blatt Papier mit dem Foto der Schauspielerin. Wahrscheinlich hat er es sich gerade ausgedruckt. "Würden Sie bitte 'Für Adriano' draufschreiben?"

Die Menschen an den Nachbartischen werfen einander wissende Blicke zu, Kekilli zückt den Stift. Ob der Mann sie wohl aus dem "Tatort" oder aus "Game of Thrones" kenne, fragt man die Schauspielerin, nachdem sich der Kellner entfernt hat. "Ich tippe mal auf "Tatort", weil der hier in Deutschland einfach bekannter ist."

Seit mehr als drei Jahren ist Kekilli Kieler "Tatort"-Kommissarin an der Seite von Axel Milberg. Sie spielt Sarah Brandt, eine gutgelaunte, schlagfertige Frau, die Epileptikerin ist, in einem Bauernhaus wohnt und Autos reparieren kann. Eine Deutsche ohne Migrationshintergrund. In der Filmografie von Sibel Kekilli ist das alles andere als selbstverständlich. Erst seit ein paar Jahren wird ihr nicht mehr automatisch die Rolle der Deutschtürkin angeboten.

Viele Absagen

Das musste ich mir hart erkämpfen", sagt die 34-Jährige und erzählt von den vielen gleichen und klischeehaften Drehbüchern, die sie über die Jahre hinweg zur Seite geschoben hat. "Wenn du einmal mit einer Rolle Erfolg hast, dann versucht man das wieder und wieder zu kopieren. Man kann nur einen Fehler machen, wenn man dasselbe noch einmal zu spielen versucht. Aber das heißt nicht, dass ich gute Drehbücher, in denen meine Rolle die einer Deutschtürkin wäre, ablehnen würde."

Bild nicht mehr verfügbar.

Sibel Kekilli mit ihrem "Tatort"-Kollegen Axel Milberg (re.) und Autor Frank Schätzing.
Foto: apa/epa/Wendt

Sibel, genauso wie die Schauspielerin selbst, hieß die Filmfigur, mit der Kekilli über Nacht berühmt wurde. 2004 war das, der dazugehörige Film "Gegen die Wand" gewann auf der Berlinale den Goldenen Bären und anschließend beim Deutschen Filmpreis in fünf Kategorien. Kekilli wurde als beste Hauptdarstellerin mit der Lola ausgezeichnet. Wie sie damals diese Sibel spielte, diese aufmüpfige junge Deutschtürkin, die sich aus den Fängen ihrer patriarchalischen Familie befreien wollte, indem sie mit einem lebensmüden, abgewrackten Typen eine Zweckheirat schloss, das war ein Ereignis.

Eines, das nach einer Wiederholung schrie: Wurde in Deutschland jemand für die Verkörperung einer Deutschtürkin gesucht, klingelte bei Kekillis Berliner Managerin das Telefon. "Nach so einem Erfolg hört man von vielen Seiten, was zu tun sei. Aber was nutzt es zu drehen und zu drehen und zu drehen, ohne sich die Zeit genommen zu haben, die Rollen richtig auszuwählen? Ich denke, Qualität ist wichtiger als Quantität." Viele Schauspieler wurden nach ersten Erfolgen in eine Schublade gesteckt, Kekilli wartete dagegen erst einmal ab. Und das, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt so gut wie noch gar nichts vom Filmgeschäft wusste.

Nichts Privates

Beim Einkaufen war die damals 22-Jährige angesprochen worden, ob sie nicht beim Casting zu Fatih Akins Film vorsprechen wolle. Im Rathaus von Heilbronn war sie bis kurz zuvor als Verwaltungsfachangestellte tätig gewesen. Beide Eltern Gastarbeitertürken der ersten Generation. "Ich bin mit "Gegen die Wand" gleich bei 100 Prozent eingestiegen. Der Druck war groß, auf diesem Level weiterzuarbeiten."

Kekilli formuliert bedächtig, wenn sie von ihren ersten Jahren in der Filmbranche erzählt. Die Pausen werden noch etwas länger, die Formulierungen unkonkreter. Viel hat sie damals von sich preisgegeben, mittlerweile ist sie auf der Hut. "Ich erzähle nichts Privates", antwortet sie auf jede Frage, die irgendetwas mit ihrer Vergangenheit, Freunden oder Familie zu tun hat. Das macht sie bereits seit Jahren so. Keine Auskunft über ihren Freund ("Nur so viel: Es gibt da jemanden."), keine Auskunft über ihre Familie.

Als die "Bild-Zeitung" zwei Tage nach dem Triumph bei der Berlinale eine regelrechte Hetzkampagne gegen die Schauspielerin startete, lernte Kekilli ziemlich schnell die Tiefen eines Lebens in der Öffentlichkeit kennen. Kaum ein Tag, an dem die Zeitung nicht neue Details aus der Vergangenheit "aufdeckte", Familienmitglieder und Bekannte sich nicht zu neuen Wortspenden hinreißen ließen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Sibel Kekilli und "Gegen die Wand"-Regisseur Fatih Akin nach der Verleihung des Goldenen Bären 2004 in Berlin.
Foto: Reuters/Bensch

"Ich habe niemandem wehgetan", sagte Kekilli damals in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Ich werde mich für meine Vergangenheit, für mein Leben bei niemandem entschuldigen."

Heute sagt sie zu all dem gar nichts mehr. Nur so viel: "Die Menschen sehen dich im Fernsehen oder auf der Leinwand und denken, es wäre nur natürlich, alles über einen wissen zu müssen. Sie meinen das gar nicht böse, da bin ich sicher. Aber ich möchte als Schauspielerin in erster Linie über meinen Beruf ernst genommen werden."

Strenge Kontrolle

Glücklicherweise macht es Kekilli einem diesbezüglich einfach: In den Gesellschaftsspalten der Zeitungen kommt die Schauspielerin selten vor, Fotoshootings wie jene mit diesem Magazin stimmt Kekilli nur in strengen Dosierungen zu und wenn, dann erst nach monatelangen Verhandlungen. Kein Bild, das ihr vor Veröffentlichung nicht vorgelegt werden muss, kein Zitat, das sie nicht autorisieren will. Seitdem die Schauspielerin nicht nur in deutschsprachigen Ländern ein bekanntes Gesicht ist, setzt ihr Management offensichtlich auf Vermarktungsstrategien wie in Hollywood.

Mit dem unglaublichen Erfolg von "Game of Thrones" hat auch die Karriere der Sibel Kekilli eine ganz neue Dimension erreicht. Zwar gewann sie 2010 mit der Hauptrolle in "Die Fremde" noch einmal die Lola und wurde als "Tatort"-Kommissarin auch einem breiten Fernsehpublikum ein Begriff, der Welterfolg der HBO-Serie bedeutet aber eine ungemein größere, internationale Sichtbarkeit - vor allem bei Zusehern, die sich die Arthouse-Produktionen, in denen Kekilli normalerweise spielt, nicht ansehen würden.

Bild nicht mehr verfügbar.

Kekilli mit "Game of Thrones"-Darsteller Peter Dinklage bei einer Party anlässlich der Premiere der dritten Staffel der Serie in Los Angeles im Mai des Vorjahres.
Foto: AP/Matt Sayles

"Ich werde auch im Ausland erkannt, das finde ich irgendwie seltsam, aber auch schön", sagt Kekilli im Hamburger Terrassen-Café. Fast einen ganzen Tag hat das Fotoshooting gedauert, ohne ein Zeichen von Müdigkeit hat sich die in Hamburg lebende Schauspielerin in Pose geworfen. Die Fotos gefallen ihr, was für ein Glück. Nur wenn Kekilli von etwas überzeugt ist, macht sie auch mit.

Bei "Game of Thrones" war das anfangs nicht so. Nach dem Casting in London lehnte sie die Rolle der Prostituierten Shae, die man ihr anbot, erst einmal ab. Zu oberflächlich, zu uninteressant sei diese Figur. Nichts für Sibel Kekilli. "Damals gab es die Serie ja noch gar nicht, heute würde ich wohl etwas anders reagieren, vielleicht." Erst als ihr die Produzenten Dan B. Weiss und David Benioff versprachen, der Rolle mehr Tiefgang zu geben, gab Kekilli ihre Einwilligung. "Ich bin wahnsinnig hart zu mir, manchmal denke ich mir, Sibel, jetzt lass mal sein."

Die Kurtisane Shae

Das war vor mittlerweile vier Jahren, und was seither geschah, darüber kann sich Kekilli nur wundern. Vier Staffeln gibt es von der Fantasy-Serie, mittlerweile hat sie bereits mehr Zuschauer als der bisherige Serienrekordhalter "Die Sopranos". Aus der Kurtisane Shae, die in der ersten Staffel so nebenbei als Figur eingeführt wird, entwickelt sich eine der bestimmenden Figuren der Serie. Als Geliebte von Lord Tyrion (Peter Dinklage) ist Shae mindestens genauso Identifikations- wie am Ende Hassfigur. "Ich bin dankbar, dass ich vier Staffeln überleben durfte. Ich war irgendwie geschockt über das Ende, auch wenn ich es verstanden habe. Keiner ist in dieser Serie nur gut oder böse, alle kämpfen ums Überleben."

Shae ist Kekillis erste internationale Filmrolle. Mit dem Erfolg der Serie nahmen auch die Anfragen zu internationalen Castings zu. Statt der Rolle der Deutschtürkin werden ihr mittlerweile Rollen in Fantasy-Dramen angeboten. Doch da macht Kekilli nicht mit. Nachdem sie sich vor zehn Jahren in keine Schublade hat stecken lassen, will sie das jetzt auch nicht machen. "Ich sage vielleicht zweimal mehr Drehbücher ab als andere. Aber selbst wenn ich wollte, könnte ich mich nicht zwingen, etwas zu machen, wo ich nicht dahinterstehe. Ich muss mit dem Herzen dabei sein."

Fremdsein

Schaut man sich die Liste der Filme an, in denen Kekilli mitgespielt hat, dann findet man außer Matthias Schweighöfers Klamotte "What a Man" kaum einen, der aus der Reihe tanzt. Es sind immer Frauen, die mit und in schwierigen Verhältnissen zurechtkommen müssen, die es Kekilli angetan haben. Frauen, die das Aufeinanderprallen der Kulturen meist an ihrem eigenen Körper erfahren müssen.

Zwischen Sibel aus "Gegen die Wand" und Shae aus "Game of Thrones" mögen Welten liegen: Beide eint aber ihr substanzielles Fremdsein. Das ist es, was Kekilli interessiert, woher die Figuren stammen, ist dagegen nicht so wichtig. "Es stimmt: Ich mag nicht auf die Rolle der Deutschtürkin festgelegt werden: Aber ich habe meine Karriere zwei Rollen zu verdanken, in beiden Filmen spielte ich Türkinnen mit Migrationshintergrund. Und das finde ich auch gut."

Bild nicht mehr verfügbar.

Selfie mit Sibel Kekilli anlässlich der Eröffnung einer "Game of Thrones"-Ausstellung in Belfast.
Foto: ap/Morrison

Sechs Jahre nach "Gegen die Wand" spielte Kekilli noch einmal eine Deutschtürkin. In "Die Fremde" geht es um einen geplanten "Ehrenmord" an einer kurdischstämmigen Deutschen, die aus einer Zwangsehe in der Türkei entflieht und mit ihrem Sohn in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben aufbauen will. Die Vergangenheit hatte Kekilli wieder, doch diesmal ging die Schauspielerin viel souveräner damit um. In Interviews sprach sie über die "gescheiterte Integration" türkischer Mitbürger, darüber, warum sie sich mit Kopftuch fremd fühlt und was sie an der türkischen Kultur liebt. "Sie wirkt gereift, auch als Schauspielerin", attestierte ihr "Die Welt".

Es ist ein zwiespältiges Verhältnis, das Kekilli zur Kultur und zum Herkunftsland ihrer Eltern hat. Sie möchte nicht auf dieses Thema festgenagelt werden. Gleichzeitig ist es ihr aber ein großes Anliegen. Gemeinsam mit der frauenpolitischen Organisation Terre de Femmes setzt sie sich für die Aufklärung von sogenannten Ehrenmorden ein, regelmäßig kritisiert sie die Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: "Er benutzt seine Macht, um sein Volk zu entzweien. Ich kann das nicht gutheißen, auch wenn ich inzwischen deutsche Staatsbürgerin bin."

Eigenen Weg gehen

So zurückhaltend Kekilli bei persönlichen Dingen ist, so offen ist sie, wenn es um gesellschaftspolitische Themen geht. "In einer muslimischen Gemeinschaft ist es schwierig, seinen eigenen Weg zu gehen. Das braucht viel Kraft und viel Selbstbewusstsein. Du siehst es an den Mädchen, die am Ende dann doch nach den Regeln der Eltern leben und sich verheiraten lassen bzw. unglücklich deren Leben leben." Als sie einmal bei einer Veranstaltung der Zeitung "Hürriyet" die körperliche Gewalt anprangerte, die in vielen türkischen Familien alltäglich sei, verließ der türkische Generalkonsul demonstrativ den Saal.

Statt auf die Karriere der Sibel Kekilli stolz zu sein, spaltet die Schauspielerin noch immer die Gemüter der türkischen Community in Deutschland. Ob sie sich selbst als Vorbild sehe, möchte man von der Schauspielerin am Ende eines langen Tages wissen. Vorbild? Mit diesem Wort kann Sibel Kekilli so gar nichts anfangen. "Ich sehe mich nicht als Vorbild. Jeder soll sein Leben leben, wie er will."

Wie das gehen kann, macht Kekilli allerdings ziemlich eindrucksvoll vor. (Stephan Hilpold, DER STANDARD, 17.9.2014)

>> Fotostrecke: Sibel Kekilli als Model

Foto: Stefan Armbruster