Wenn es um Quarzuhren geht, hört sich für viele Uhrenfans der Spaß auf. Man braucht nur die Diskussionen in einschlägigen Online-Foren zu verfolgen und wird bald feststellen: Wo das Dogma "Mechanische Uhr gut, alles andere böse" herrscht, gibt es keinen Platz für Zugeständnisse.

Notwendige Impulse für die Branche

Nähert man sich dem Thema aber ohne Scheuklappen, zeichnet sich folgendes Bild ab: Obwohl die Quarzuhr Mitauslöser einer der größten Krisen der (Schweizer) Uhrenindustrie gewesen ist, gingen von ihr notwendige Impulse für ein Umdenken in der Branche aus. Außerdem: Die Armbanduhr wäre nie zu einem modischen Konsumartikel geworden. Schlimmer noch: Sie wäre vielleicht sogar obsolet geworden.

Die Quarzuhr in ihrer Vielfalt: "Cape Cod Nantucket" von La Montre Hermès: 2.650 €
Foto: Hersteller

Ironischerweise hatten mehrere eidgenössische Unternehmen in den 1960ern das Quarzkaliber Beta 21 entwickelt - nur um es dann wieder fallenzulassen: Es war zwar hochpräzise, aber zu komplex für die Serienproduktion. Man konnte sich einfach nicht vorstellen, dass damit jemals ein gutes Geschäft zu machen sein könnte.

Und so ergriffen die Japaner die Initiative. Seiko arbeitete bereits seit zehn Jahren im Geheimen an einer Quarzuhr. Es gelang ihnen ein seriell herstellbares, zuverlässiges und kleines Quarzwerk zu entwickeln. Herzstück war ein unter Strom gesetzter Uhrenquarz in Form einer Stimmgabel, aus dem sich mittels Frequenzteilung Sekundenimpulse herleiten ließen. Bis heute funktioniert praktisch jede analoge Quarzuhr auf diese Weise.

Weihnachtsgeschenk mit Folgen

Zu Weihnachten 1969 stellte Seiko die Astron vor, die erste Serienquarzuhr der Welt. Sie ging um ein Vielfaches genauer als jede mechanische Uhr. Bald darauf war die Produktion automatisiert, Quarzuhren für eine Handvoll Yen erhältlich. Mit der Ölkrise und dem Verfall des Dollar-Franken-Wechselkurses war die "Quarzkrise" perfekt. Eine weitere Folge dieser Entwicklung: Die Armbanduhr verlor ihren Nimbus als Statussymbol. Jedermann konnte sich eine Quarzarmbanduhr leisten.

Reisewecker "Tambour Alarm Clock" mit zweiter Zeitzone von Louis Vuitton: 2.150 €
Foto: Hersteller

Aber noch war die Armbanduhr weit davon entfernt, ein Modeprodukt zu sein. Es herrschte eher Tristesse und Fantasielosigkeit. Uhrenexperte Gisbert L. Brunner erinnert sich an einen Besuch der Basler Uhrenmesse im Jahr 1981: "Sie war geprägt vom Aufbruch ins Quarzzeitalter und einem gesichtslosen Einheitsbrei analoger Quarzarmbanduhren mit Stahlgliederband." Das änderte sich 1983 mit einer billigen Plastikquarzuhr, bestehend aus nur 51 Teilen, 100 Prozent "swiss made", der Swatch.

Aus einem Luxussymbol wurde eine Spaßuhr für alle

Wo früher Uhrmacher und Ingenieure bestimmt hatten, übernahmen ab sofort Marketingstrategen das Ruder, brachten Emotionen ins Spiel. Uhren mussten gefallen und sich in Mode und Lifestyle einfügen. Aus einem exklusiven Luxussymbol wurde so eine Spaßuhr für alle, sie sprach Kinder ebenso an wie Milliardäre. Sie war die erste Kunststoffuhr, mithin der erste farbige Zeitmesser, was neue Horizonte für die Gestaltung eröffnete.

Mehr Instrument als Uhr. Die "Emergency II" von Breitling sendet im Fall des Falles SOS: 14.190 €.
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"Vergessen wir nicht: Ohne die Swatch gäbe es keine mechanischen Luxusuhren mehr, die mechanische Uhr wäre tot - ohne dass die Swatch existieren würde", fasst Nick Hayek, CEO der Swatch Group und Sohn des Swatch-Gründers Nicolas Hayek, zusammen.

Von der Modeindustrie abgeschaut

Neu war das Verständnis der Uhr als modisches Accessoire mit jährlich zwei neuen Kollektionen, neu war auch die Idee, die Kunden vom Kauf mehrerer Uhren zu überzeugen (daher auch der Name "Second Watch", kurz Swatch). Mitte der 1990er-Jahre wurden eigene Swatch-Stores gegründet. Das Konzept dieser Mono-Brand-Boutiquen hatten sich die Schweizer von der Modeindustrie abgeschaut. "Das hat das Image der gesamten Uhrenindustrie erneuert", schreibt der Historiker Pierre-Yves Donzé in seinem Buch über die Swatch Group. "Zum ersten Mal wurde eine Uhr zum Objekt von großen, weltweiten Events und zu einer globalen Marke."

Die Quarzuhr als Einstiegsdroge

Auch wenn die Marge bei einer Swatch mit zehn bis zwölf Prozent vergleichsweise gering ist, der Angriff auf den Massenmarkt war entscheidend. Und ist es noch. Nicht nur für die Swatch. So ist das Angebot von in Lizenz hergestellten Zeitmessern heute unüberschaubar. "Markenlabel haben vor etwa 15 Jahren massiv Einzug in die Uhren- und Schmuckwelt gehalten. Seitdem sind die Brands nicht mehr aus unserer Branche wegzudenken. Für mich ist es heute unverzichtbar, Markenlabels zu vertreiben", berichtet Christoph Anders, Geschäftsführer der Groupe TWC, die in Lizenz unter anderem für Boss, Lacoste und Hilfiger Quarzuhren fertigt, in einem Artikel in der Goldschmiede Zeitung.

Die "T-Touch Expert Solar" mit Touchscreen von Tissot läuft mit Sonnenkraft: 855 €.
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Es braucht nicht viel Vorstellungskraft, wie hoch die Marge bei Quarzuhren sein kann, wenn man einen Blick auf die Website der Hongkong Watch & Clock Fair wirft. Dort bieten chinesische Hersteller Zeitmesser quasi zum Kilopreis an: 3,6 US-Dollar (rund 2,8 Euro) kostet zum Beispiel eine Damenuhr pro Stück ab einem Einkauf von fünf Uhren. Das zeigt deutlich, dass es auch bei Quarzuhren Niveauunterschiede gibt. Denn mit diesen Zeitmessern aus China haben jene Quarzuhren, die Omega, Breitling oder Hermès in der Schweiz produzieren, nichts zu tun. Obwohl auch hier der Preis ein Thema ist.

Wert, nicht Volumen

"Mit Quarzuhren können wir das Einstiegsniveau halten", schildert Luc Perramond, CEO von La Montre Hermès, der Uhrentochter der französischen Luxusmarke. Der Einstiegspreis liegt bei rund 1700 Euro. "Für viele unserer Kundinnen ist vor allem das Design, die Ästhetik und die Qualität ausschlaggebend - die Beschaffenheit des Uhrwerks ist zweitrangig", stellt Perramond fest. "Quarzuhren machen immerhin zwei Drittel unserer Uhrenverkäufe aus." Scharf grenzt sich Perramond von Modemarken ab: "Wir sehen das Uhrengeschäft nicht als Modebusiness, sondern als ernsthaftes, nachhaltiges Geschäft. Wir bilden Wert und nicht Volumen. Wären wir eine Modemarke, würden wir alles auslagern."

Das Design steht bei der "Gucci G-Chrono Re-Styled" im Vordergrund: 1.350 €.
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Auch wenn sich die Quarzrevolution mittlerweile abgekühlt hat, der Erfolg der Quarzuhr hat dazu beigetragen, dass die Uhr selbst als Kategorie erhalten geblieben ist - und sie ermöglichte die Renaissance der mechanischen Uhr. (Markus Böhm, DER STANDARD, 17.9.2014)