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"Herzlich Willkommen". Ob das Schild auch den versammelten britischen Spitzenpolitikern galt, die Mittwoch in Schottland gegen die Unabhängigkeit anredeten, darf bezweifelt werden.

AP Photo/Scott Heppell

Edinburgh/London - Eine Woche vor der Abstimmung über Schottlands Unabhängigkeit haben Regierung und Opposition das normale politische Leben Großbritanniens suspendiert. Anstatt wie sonst am Mittwoch im Unterhaus zu streiten, reisten der konservative Premier David Cameron, Vizepremier Nick Clegg von den Liberaldemokraten sowie Labour-Oppositionsführer Ed Miliband gen Norden, um für den Erhalt des Landes zu werben.

"Uns trennt vieles, aber in einem stimmen wir absolut überein: Das Vereinigte Königreich ist gemeinsam besser", erläuterte Cameron in Edinburgh und appellierte an die Schotten: "Bitte zerbrechen Sie nicht unsere kostbare Union!"

"Gerechtere Verteilung"

Gemeinsam versammelten sich die Parteichefs hinter einem neuen Plan von Camerons Vorgänger als Premier, Labour-Politiker Gordon Brown. Der glücklose Exregierungschef (2007-2010) genießt in seiner schottischen Heimat hohes Ansehen, während er im Rest des Landes als gescheitert gilt. Browns Blaupause sieht ein beschleunigtes Verfahren für ein neues Autonomiegesetz vor. Dadurch erhielte das Regionalparlament ein erheblich weitergehendes Mitspracherecht über seinen Haushalt als bisher.

Ein entsprechender Gesetzentwurf sollte im Jänner dem Unterhaus vorgelegt werden. "Der Vorschlag bedeutet schnellere, gerechtere und bessere Veränderung", so Brown, der auch in einem neuen TV-Spot der Nein-Befürworter auftritt.

Hämischer Regierungschef

Für die Ja-Sager erklärte Schottlands Ministerpräsident Alex Salmond den Betriebsausflug der Londoner Spitzenpolitiker schon vorab zum "größten Fehler" der Kampagne: "Die Elite von Westminster ist in totaler Panik." Der Chef der Nationalpartei SNP und sein Lager sehen sich im Aufwind, seit zu Wochenbeginn Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen konstatierten. Zuvor war in den Befragungen stets das Unionslager deutlich vorn gelegen. Salmond freute sich über die hohe Mobilisierung für das Referendum und verglich die Abstimmung mit der ersten freien Wahl Südafrikas nach dem Ende der Apartheid - eine Bemerkung, die ihm zornige Kritik in sozialen Netzwerken einbrachte.

"Alles den Konservativen zu verdanken"

Im Unionistenlager gibt man sich entschlossen, bis zum 18. September das Ruder noch herumzureißen. Gleichzeitig aber sind die Schuldzuweisungen in vollem Gang. Der frühere Tory-Premier John Major (1990-1997) konstatierte in einem Aufsatz für The Times, in Schottland gebe es eine "Dämonisierung der Konservativen und damit indirekt alles Englischen". Diese habe bereits in den 1980er-Jahren begonnen "und dauert bis heute an"; dabei habe sich Labour der "Komplizenschaft mit den Nationalisten" schuldig gemacht. In Wirklichkeit aber hätten die Schotten im Lauf des 20. Jahrhunderts den Lebensstandard der Engländer nicht nur erreicht, sondern übertroffen - dank konservativer Regierungen, so Major.

Feindbild Margaret Thatcher

Die meisten Schotten, SNP und Labour eingeschlossen, legen den Torys hingegen die schmerzlichen Strukturreformen unter Majors Vorgängerin Margaret Thatcher (1979- 1990) zur Last. Vor deren Amtsantritt scheiterte ein Referendum für die Wiedereinrichtung des schottischen Parlaments an zu niedriger Wahlbeteiligung. Der Edinburgher Landtag wurde dann unter der Labour-Regierung von Tony Blair (1997-2007) eingerichtet. Abgesehen vom ersten, bereits 2000 verstorbenen Ministerpräsidenten Donald Dewar entschieden sich sämtliche hochkarätige Labour-Politiker, darunter auch Brown, für den Verbleib im Londoner Unterhaus. In Edinburgh tummelte sich die zweite und dritte Garnitur der Partei - ein wichtiger Grund für das Erstarken der Nationalisten.

Neutrale Monarchin

Während die beiden Expremiers Major und Brown um den Erhalt der Union kämpfen, hat das Königshaus die "strikte Neutralität" betont. "Ihre Majestät nimmt zu aktuellen politischen Ereignissen keine Stellung", heißt es kühl. Die 88-jährige Monarchin könnte nur verlieren, schließlich habe Salmond ängstliche Schotten stets mit der Gewissheit beruhigt, die Queen werde auch dem unabhängigen Land als Staatsoberhaupt zur Verfügung stehen.

Da helfen auch Verweise der Unionisten auf eine Rede nichts, die sie aus Anlass ihres Silbernen Kronjubiläums 1977 gehalten hatte. Damals war von ihrer Vorliebe für "das Vereinigte Königreich" die Rede. Da war die Nationalistenbewegung nur ein Schatten des heutigen Blocks. (Sebastian Borger, DER STANDARD, 11.9.2014)