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Verurteilt wegen "feindseliger Akte": Mit Matthew Todd Miller (Bild) soll nach Kenneth Bae ein zweiter US-Bürger in ein Arbeitslager. Der Prozess gegen einen dritten, Jeffrey Fowle, steht noch aus.

Foto: Reuters/KCNA

Nordkoreas Machthaber werden in aller Welt für ihr Schreckensregime kritisiert - sie selbst sehen das naturgemäß anders. Ganz im Gegenteil: Sie schwärmen in höchsten Tönen über die "beispiellosen, fortschrittlichen Menschenrechte" in dem Land. Die Bevölkerung sei nicht nur "stolz", sondern unvergleichlich "glücklich" über diesem Umstand.

Damit nicht genug: Die Nordkoreaner lebten in einem Land, in dem schon die vier Jahreszeiten "von ausgeprägter Besonderheit und einzigartiger Schönheit" seien. Die Bodenschätze seien so reichhaltig, dass die Regionen nicht nach "Quadratmetern, sondern nach Kubikmetern" gemessen werden sollten. Das Volk genieße "ein lohnenswertes Leben ohne soziale und politische Unsicherheiten". Und unter der "weisen Führung des angesehenen Marschalls Kim Jong-un" sei es überzeugt, dass der Staat mit seinem Sozialsystem so überlegen sei, weil er "genuine Freiheiten und Rechte" garantiere.

Menschenrechtsbilanz Nordkoreas

Solch groteske Propaganda findet sich in der ersten, mehr als 130 Druckseiten umfassenden Menschenrechtsbilanz Nordkoreas. Die Führung in Pjöngjang veröffentlichte sie am Wochenende, um ihr Land, das wegen atomarer Aufrüstung und Raketentests mit UN-Sanktionen belegt ist, davor zu bewahren, auch noch wegen Missbrauchs der Menschenrechte von den UN verurteilt zu werden.

Nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur KCNA richtet sich die neue Studie gegen einen im Februar vorgelegten Menschenrechtsbericht zu Nordkorea, den eine UN-Untersuchungskommission verfasst hatte. Der UN-Bericht wirft der dynastischen Familiendiktatur unter Kim Jong-un "weitverbreitete, systematische und schwere Menschenrechtsverletzungen" vor. Das Regime sei für ein Unterdrückungssystem mit unfassbaren "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" verantwortlich und ein Fall für den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag.

80.000 bis 120.000 Gulag-Häftlinge

Sechs Monate arbeiteten mehr als 100 Funktionäre aus dem "DPRK-Verband für Menschenrechtsstudien" an ihrer in fünf Sprachen veröffentlichten Gegenstudie. Doch das Machwerk setzt sich mit den UN-Vorwürfen nur polemisch auseinander, weicht jeder konkreten Antwort aus. Zugleich berufen sich die Autoren auf den Grundsatz aller Diktaturen, dass die Verteidigung der "Souveränität" als "nationales Unabhängigkeitsrecht eines Staates" Priorität habe: "Menschenrechte sind eine interne Angelegenheit." Niemand habe das Recht, sich einzumischen.

Ein Jahr hatte die UN-Kommission an ihrem 372-Seiten-Bericht gearbeitet, der Flüchtlingsaussagen über Alltagsgrausamkeiten, Verfolgungen und Hinrichtungen systematisch auswertet. Der Report schätzt die Zahl der in Gulags eingesperrten politischen Häftlinge auf 80.000 bis 120.000. Westliche Außenminister, darunter für die USA John Kerry, wollen über den UN-Bericht Ende September am Rande der UN-Vollversammlung in New York beraten. Es wird die erste Ministerrunde im UN-Rahmen sein, die Nordkoreas Misshandlung von Menschenrechten thematisiert und um Unterstützung für eine UN-Resolution werben will. Weder das mit Nordkorea politisch-strategisch verbündete Russland noch China - beide Vetomächte trugen die UN-Sanktionen mit - haben Pjöngjang bisher gegen die UN-Vorwürfe in Schutz genommen.

Dafür schäumt das isolierte Regime umso mehr. Die UN-Kommission sei eine "Marionette" der USA. Die verwendeten Zeugenaussagen und "zusammengeschusterten, falschen Daten" stammten von "übergelaufenen Schwindlern" und "menschlichem Abschaum", die Heimat und Volk verraten hätten. Wie gut es um die Menschenrechte stehe, zeige auch der "sehr hohe" Bedarf an Büchern darüber: Die Verlage würden daher sehr viel mehr solche Bücher als früher drucken.

Lagerhaft für US-Bürger

Fast zeitgleich mit dem Erscheinen des Berichts verurteilte ein Gericht in Nordkorea den US-Bürger Matthew Miller zu sechs Jahren Lagerhaft. Der junge Amerikaner habe "feindselige Akte" begangen, als er nordkoreanisches Territorium betreten habe, berichtete KCNA am Sonntag. Miller war im April festgenommen worden, als er bei der Einreise in das Land Asyl beantragte. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 15.9.2014)