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IS-Kämpfer vor einer Polizeistation in der Gegend des irakischen Ninive.

Foto: AP

Als Antiterrorchef der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hilft Thomas Wuchte den Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung des Erfahrungsaustauschs über Antiterrormaßnahmen. Das beginnt bei Aufklärungskampagnen und endet bei Sicherheitsschranken durch biometrische Reisepässe. Derzeit ist Wuchte vor allem mit dem Aufstieg der IS-Terrormiliz und der Gefahr, die von europäischen Jihadisten ausgeht, beschäftigt.

derStandard.at: Stimmen Sie zu, dass wir immer noch viel zu wenig wissen, wie genau junge Leute sich auch in Europa radikalisieren?

Wuchte: Es wäre falsch zu sagen, dass uns die IS-Terrormiliz am falschen Fuß erwischt hat. Wir beschäftigen uns ja schon seit 9/11 mit Antiterrormaßnahmen. Da der Fokus jetzt so sehr auf diesem Thema liegt und es ein öffentliches Bewusstsein gibt, fragen sich viele erstmals: Was tun wir eigentlich dagegen, oder woher kommt das? Solange die Sicherheitsmaßnahmen funktionieren, merkt man sie ja auch nicht.

derStandard.at: Hat der IS-Terrorismus deshalb so eine Wirkkraft, weil die Gräueltaten vor den Augen der Öffentlichkeit passieren?

Wuchte: Die Thematik von ausländischen Jihadisten ist an sich keine neue Wirkkraft, beginnend mit Afghanistan, Bosnien und Tschetschenien. Was aber jetzt sehr herausfordernd ist, und darüber führen wir einen exzessiven Dialog in der OSZE, ist die Geschwindigkeit, mit der Leute mittlerweile radikalisiert werden. Die Anzahl jener, die in den Jihad ziehen wollen oder wieder zurückkommen wollen, hat klargemacht: Unsere Arbeit ist nicht getan.

derStandard.at: Wo liegt die Grenze zwischen begründeter Vorsicht und einer hysterischen Überreaktion auf Terrorgefahren?

Wuchte: Wir sollten wachsam sein, nicht hysterisch. Wir wollen die Qualitätsschranken erhöhen. Terroristen wollen eine Reaktion provozieren. Die Frage ist immer, was man mit der Antwort erreichen will und ob die Maßnahmen im Verhältnis zur Bedrohung stehen. Die Frage, ob wir die Leute auf Facebook posten lassen, ist eine Frage, die mit Verhältnismäßigkeit zu tun hat. Und dann dürfen diese Maßnahmen natürlich nicht diskriminieren. Unser Ansatz in der Terrorismusbekämpfung geht dahin, dass wir Kategorien wie Religion und Herkunft außen vor lassen. In erster Linie sind die Taten kriminelle Akte.

derStandard.at: Braucht es in der aktuellen Situation schärfere Gesetze?

Wuchte: Die meisten OSZE-Staaten würden sagen, dass die Gesetze, um Terroristen zu verfolgen, ausreichen. Vorausgesetzt, man hat die korrekten Personen und das dazugehörige Vergehen identifizieren können. Eine bessere Option, als schärfere Gesetze zu implementieren, wäre es, auf das "Gegennarrativ" zu setzen und sich zu überlegen, was man jenen, die radikalisiert werden, argumentativ entgegensetzen kann. Hier braucht es viel Engagement, um eine Gesprächsbasis zu schaffen. Das muss auf dem lokalen Level passieren. Es ist ein Faktum, dass die beste Möglichkeit für diese "Gegenerzählungen" eine offene und freie Gesellschaft bietet. Es braucht Widerstandskraft innerhalb der Gesellschaft, dies auch auszuhalten, aber genau eine solche Demokratie wollen wir ja letztendlich.

derStandard.at: Einige würden argumentieren, dass die Tatsache, dass wir jetzt diesen Jihad-Tourismus erleben, eben genau eine Folge unserer freien, toleranten Gesellschaft ist.

Wuchte: Sobald Terroristen Gewalt anwenden, ist das ein krimineller Akt. Und unsere Gesellschaft hat es offenbar nicht geschafft, sich zu dekriminalisieren. Wenn etwas unterdrückt wird, wird es noch stärker beginnen zu blühen. Wenn man es hingegen unter den Augen der Öffentlichkeit tut, ist es möglich, diese Leute zu identifizieren, den Kontakt zu ihnen zu suchen.

derStandard.at: Wie sollen Leute behandelt werden, die aus dem Jihad zurückkommen?

Wuchte: Das ist eine Herausforderung. Wir müssen sehr sorgsam in der Überwachung und Geheimdienstarbeit sein, denn nicht jeder, der in ein anderes Land reist, wird kriminelle Taten verüben, genauso wenig muss nicht jeder, der zurückkehrt, radikalisiert sein. Der Erfolg misst sich daran zu wissen, wer davon gefährlich ist.

derStandard.at: Manche Staaten zahlen für die Freilassung von Geiseln aus der Hand von Terroristen eine Menge Geld, andere wiederum grundsätzlich nicht. Sollte es hier eine einheitliche Linie geben?

Wuchte: Es gibt Hinweise, dass es hilft, kein Lösegeld zu zahlen, und dadurch der Anreiz für Terroristen schwindet. Man muss die Balance finden zwischen dem Recht auf Leben und dem Erhalt zukünftigen Lebens, indem man Kidnapping nicht als Geld- und Erpressungsquelle für Terroristen zulässt. Wir wollen nicht, dass noch mehr Leute gekidnappt werden, weil es lukrativ ist. (Teresa Eder, derStandard.at, 22.9.2014)