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Innenministerin Johanna Mikl-Leitner besuchte im Juni den Leiter der Erstaufnahmestelle Traiskirchen, Franz Schabhüttl.

Foto: APA/ROBERT JAEGER

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Die Zahl der Asylanträge steigt.

Grafik: APA

Wien - Die Asylunterbringung in Österreich stößt laut Innenministerium in der nächsten Woche an ihre Kapazitätsgrenzen. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) will deshalb Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) und das Bundesheer um "Assistenzeinsatz" in Sachen Flüchtlingsunterbringung in Kasernen ersuchen. Das Ministerium bestätigte Sonntagnachmittag einen entsprechenden Bericht des "Kurier".

Spätestens am Dienstag müssten im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen 1.600 Menschen versorgt werden, was auch für das Innenministerium selbst nicht mehr tragbar sei, wie es hieß. Traiskirchen würde dann vom Innenministerium selbst gesperrt. Auch die zuletzt genutzten Polizeiturnsäle reichten nicht mehr aus. Dies sei eine direkte Auswirkung der Asylblockade von Ländern und Gemeinden, klagt das Innenministerium nur wenige Tage vor der für kommende Woche angesetzten Tagung der Landes-Flüchtlingsreferenten.

3.000 Flüchtlinge im September

Zugleich reiße der Flüchtlingsstrom aus Kriegs- und Krisenländern wie Syrien nicht ab. Allein im September werden über 3.000 Kriegsflüchtlinge in Österreich Schutz suchen. Zuletzt sei auch die Zahl der Asylanträge aus der Ukraine deutlich gestiegen. Für 2014 rechnet das Innenministerium mit 26.000 Asylanträgen. Das wäre eine Steigerung von über 50 Prozent gegenüber 2013 und ein Rekordwert in den letzten zehn Jahren, so das Ministerium.

"Täglich erreichen uns nicht nur die Bilder des Mordens, des Terrors und der Verfolgung, sondern eben auch die Menschen, die genau davor fliehen und bei uns Schutz suchen. Die öffentlichen Diskussionen dazu sind schon bisher unwürdig genug. Aber jetzt stehen wir vor einem neuen traurigen Tiefpunkt", erklärte Innenministerin Mikl-Leitner dazu gegenüber der APA.

"Eine Schande"

Und weiter: "Wenn wir einerseits von den Bundesländern ausgerichtet bekommen, dass sie eigentlich auf Knopfdruck hunderte Flüchtlinge in vernünftigen Quartieren unterbringen könnten, dass das aber aufgrund des Widerstands einzelner Bürgermeister nicht geht, und wir andererseits deshalb in Kasernen und vielleicht sogar Zelte wie in Deutschland ausweichen müssen, dann ist das der Bankrott der Hilfsbereitschaft in unserem Land - und eigentlich eine Schande."

Eine der Gemeinden, die sich querlegen, ist Spital am Semmering. Dort wurde für Montagabend zu einer Bürgerversammlung geladen, um unter anderem Protestmaßnahmen gegen das Asylwerber-Großquartier im "Hotel Haus Semmering" zu besprechen. Rund 400 Bewohner machten ihrem Ärger Luft. Sie hatten kein Verständnis für die Aufnahme von solchen "Massen" und wollten wissen, wer das bezahle und wo die Familien seien: "Wir sehen nur junge Männer", so eine Frau besorgt.

Bürgermeister Reinhard Reisinger (SPÖ) erklärte, er mache sich momentan strafbar, weil er die bisher 141 eingelangten Flüchtlinge im neuen Quartier nicht angemeldet habe: "Ich habe alle Anmeldungen an Innenministerin Mikl-Leiter (ÖVP) weitergeleitet und ihr geschrieben, dass ich keine Kapazität habe, die alle anzumelden." Dafür erntete das Gemeindeoberhaupt Applaus vom Publikum, das immer wieder mit teils untergriffigen Zwischenrufen seine Meinung äußerte. Für entgeistertes Gemurmel sorgte Reisingers Auskunft, dass derzeit noch Touristen im selben Quartier wohnen, weil sie schon gebucht hatten: "Die verlassen teilweise wutentbrannt das Hotel."

Neben Bürgermeister Reisinger nahm auch LH.-Stv. Siegfried Schrittwieser (beide SPÖ) an der Versammlung teil.

Sowohl Schrittwieser als auch Reisinger fühlen sich von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) übergangen. Der Bund hatte Gemeinde und Land erst nach der Unterzeichnung des Vertrages mit der Eigentümerin des Gebäudes darüber informiert. Das will man sich vor allem in der Gemeinde nicht gefallen lassen. Nun wird über mögliche Protestmaßnahmen nachgedacht. Im Gespräch ist laut der Tageszeitung "Österreich" (Montagausgabe) sogar eine Blockade der S6, der Semmering-Schnellstraße.

Kritik von Babler und Strache

Kritik kommt auch vom Bürgermeister Traiskirchens, Andreas Babler (SPÖ). Die Bevölkerung habe es "satt", unter der "politischen Unfähigkeit des Innenministeriums" leiden zu müssen. Mikl-Leitner habe die Zustände in Traiskirchen "direkt zu verantworten". Babler kündigte auf Anfrage an, dass die Stadt einen Protest in der Wiener Herrengasse plane. Die Vorbereitungen seien angelaufen.

Auch für FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ist Mikl-Leitner am Problem der Unterbringung von Flüchtlingen gescheitert. Ihre Vorgehensweise, Asylwerber ohne Absprache mit Bürgermeistern unterzubringen, sei nicht akzeptabel. Und die Idee, Kasernen heranzuziehen, wirke sich nachteilig auf deren Verkauf und somit negativ auf das Heer aus, meinte Strache in einer Aussendung.

Klug bietet Martinek-Kaserne an

Die Innenministerin will kommende Woche bei Verteidigungsminister Klug wegen des "Assistenzeinsatzes" des Bundesheeres anklopfen. Ein solcher wäre nämlich formal notwendig, um Kasernen auch ohne entsprechende Flächenwidmung durch Gemeinden zur Flüchtlingsunterbringung zu nutzen, hieß es aus dem Innenministerium. Zuletzt waren solche Pläne in Linz gescheitert.

Im Ö1-"Morgenjournal" kündigte Mikl-Leitner am Montag an, noch diese Woche einen entsprechenden Antrag einzubringen und im Gespräch mit Klug Vorbereitungen abzuklären. Einen Assistenzeinsatz müsste die Regierung einstimmig beschließen. Ob das Thema diese Woche auf der Agenda des Ministerrates steht, ist noch offen.

Im Verteidigungsministerium kommentierte man den Vorstoß Mikl-Leitners zurückhaltend. "Sobald das Innenministerium an uns herantritt, werden wir uns das anschauen, prüfen und danach in Gespräche eintreten", sagte ein Sprecher von Klug. Ein direktes Gespräch gab es aber noch nicht: "Die Pläne kenne ich noch nicht", sagte Klug am Rande der SPÖ-Klubtagung am Montag. Klug bot jedoch abermals die Martinek-Kaserne in Baden zur Unterbringung der Asylwerber an. Es sei eine "menschenwürdige Lösung", die Kaserne stehe leer, sei in einem guten Zustand und könne bis zu 900 Menschen aufnehmen.

Diesem Vorschlag steht Mikl-Leitner skeptisch gegenüber. Ihr Büro verwies auf rechtliche Probleme, die bereits vor einigen Wochen bei der vorgeschlagenen Nutzung der Hiller-Kaserne in Linz-Ebelsberg zum Tragen kamen. Konkret geht es um die nötige Änderung der Flächenwidmung, die bei einem Assistenzeinsatz nicht nötig wäre.

Von Badens Bürgermeister Kurt Staska (ÖVP) kam prompt ein Nein. Es müsse eine gerechte Verteilung der Asylwerber über alle Bundesländer geben. Ein zweites Massenquartier in fünf Kilometern Entfernung zu Traiskirchen sei "undenkbar".

"Traurig und konsterniert" wegen Diskussion

Sollten ihre Pläne nicht durchgehen, so will Mikl-Leitner nach dem Vorbild Deutschlands Zeltstädte errichten: "Ich lasse nicht zu, dass ein Flüchtling in Österreich auf der Straße steht. Das ist das Mindeste, das wir tun müssen. Und wenn es ein Zelt sein muss, weil einigen ihre Gemeinde zu schade ist dafür." Mit dem Roten Kreuz wurde in dieser Sache schon Kontakt aufgenommen, so Mikl-Leitner.

Der Generalsekretär des Roten Kreuzes, Werner Kerschbaum, zeigte sich hingegen "traurig und konsterniert", weil über eine Unterbringung von Flüchtlingen in Zeltlagern in Österreich überhaupt diskutiert wird.

Für Katastrophenfälle habe man Zelte zur Verfügung, habe die Antwort auf die Anfrage aus dem Innenministerium gelautet. Kerschbaum geht aber davon aus, dass eine Unterbringung von Flüchtlingen in Zeltlagern nicht notwendig sein werde. Er hält die diesbezügliche Anfrage von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) eher für eine "verständliche Drohgebärde" gegenüber Ländern und Gemeinden, die Asylwerber nicht in ausreichendem Maße aufnehmen. Den diesbezüglichen Unmut der Innenministerin verstehe er, sagte der Generalsekretär des Roten Kreuzes. Die Diskussion hält er für eines reichen Landes wie Österreich "nicht würdig".

Kerschbaum richtet einen "eindringlichen Appell" an die Länder und Gemeinden, sich der humanitären Tradition bewusst zu sein und für menschenwürdige Unterbringung der Flüchtlinge zu sorgen. Wenn jede Gemeinde nur einen Flüchtling aufnehmen würde, dann wären mehr als 3.000 Personen untergebracht und das Problem gelöst, meinte der Generalsekretär.

Tirol und Kärnten säumig

Insgesamt sind noch zwei Bundesländer hinsichtlich der Unterbringungsquote säumig. Mit Stand von Montag schafften nur Tirol (85,76 Prozent) und Kärnten (86,60 Prozent) nicht ganz die politisch vereinbarte Quote von 88 Prozent. Vor zwei Wochen waren zusätzlich auch noch Oberösterreich, die Steiermark und Salzburg knapp unter der politisch vereinbarten Grenze gelegen.

Über 100 Prozent kommen weiterhin nur Wien (132,21) und Niederösterreich (102,33 Prozent). Niederösterreich verdankt seine Zahl in erster Linie dem Erstaufnahmelager Traiskirchen, wo trotz des eigentlich geltenden Aufnahmestopps aktuell 1.414 Asylwerber untergebracht sind. In der zweiten Erstaufnahmestelle in Thalham in Oberösterreich sind es 171 Asylwerber.

Stark steigend ist nach wie vor der Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien. Waren zu Beginn des heurigen Jahres noch rund 300 Personen aus dem von Krieg gezeichneten Land nach Österreich gekommen, so ist deren Zahl im August schon auf 714 angestiegen, und im September wird mit mehr als 1.100 gerechnet. Vergleichsweise moderat ist der Flüchtlingsstrom hingegen aus den anderen Kriegsgebieten. Aus dem Irak sind im August 88 Personen nach Österreich gekommen, im September wird mit weiteren rund 120 gerechnet. Aus der Ukraine sind im August 80 Menschen gekommen, im September sollen es rund 70 werden.

Das Innenministerium rechnet für heuer mit mehr als 26.600 Asylanträgen, das wäre eine Steigerung von 52 Prozent gegenüber 2013. (APA/red, derStandard.at, 21./22.9.2014)