Auch wenn meine Coming-outs bis jetzt großteils von positiven Reaktionen gefolgt und somit erfreuliche Erlebnisse waren, so stießen sie dennoch oft auch auf Unverständnis.

Einige Leute etwa bemängelten, meine Transidentität stünde im Widerspruch zu meinen feministischen Ansichten – weil ich mich als männlich identifiziere und nun auch offen so definiere, beabsichtigterweise eher so aussehe und auch auf einer männlichen Anrede bestehe. Mit anderen Worten: Ich sei "unfeministisch", weil ich doch gern ausgerechnet ein Mann wäre.

Diesem Fehlschluss liegen drei falsche Annahmen zugrunde. Also der Reihe nach:

Sein versus "gerne sein wollen"

Erstens: Mir wird vorgeworfen, ich "wäre gern ein Mann". Das würde ja implizieren, dass ich keiner bin. Dass ich erst einer werden will. Zudem wären die, die es bereits sind, demnach aus dem Schneider, denn "die sind nun mal einfach, was sie sind". Die können nichts dafür, wie sie zur Welt gekommen sind. Dieser Ansicht liegt eine Ideologie von Natürlichkeit und Naturgegebenheit zugrunde, nach der "richtige" Männer bereits als solche geboren werden und somit keine Wahl hatten; Trans*Menschen hingegen würden sich "wider ihre Natur" dazu "entscheiden", etwa ein Mann "werden zu wollen". Ihre (Trans*)Identität verliert somit an Gewicht, wird abgetan als ein Wunsch, kann sogar als pure Laune interpretiert werden. Dabei wird vergessen, dass es für viele Trans*Personen gar keine Entscheidungsfrage ist. Dass etwas anderes genauso wenig infrage kommt, dass wie bei anderen Personen gar nicht von einer Entscheidung die Rede sein kann. Und selbst wenn es für wiederum andere Trans*Personen sehr wohl eine Entscheidung darstellt, selbst wenn es sich um eine Laune handelt, so sollte dieser Umstand eigentlich nichts an der Ernsthaftigkeit, mit der ihrer neuen, "spontanen" Identität begegnet wird, ändern. Immerhin ist es genauso die Entscheidung einer jeden Nicht-Trans*Person, eben keine Transition zu machen, wobei deren Identität, zu der sie sich auch jeden Tag aufs Neue entschließen, genauso ernst genommen wird.

Richtige Geschlechtsidentität wird gern am "Geburtsgeschlecht" festgemacht – was davon abweicht, sei ein reiner Wunsch und somit nicht so absolut und gültig wie eine Identität. Meine Männlichkeit ist aber nicht mein "Wunsch", sondern meine Geschlechtsidentität, so wie die von sehr vielen anderen Männern auch (egal, was auf deren Geburtsurkunde steht).

Foto: Mike

Mann sein versus feministisch sein?

Zweitens: "Sich als Mann zu definieren ist unfeministisch." Dieser Logik zufolge ist es also ein Widerspruch, für die Gleichstellung der Geschlechter zu sein, sich aber eher jenem zugehörig zu fühlen, welches in der jetzigen Geschlechterhierarchie oben steht. Demnach dürfte sich also keine Person, die der sexistischen Ordnung kritisch gegenübersteht, irgendwie mit dem männlichen Geschlecht identifizieren. Daraus müsste folgen, dass alle Männer, die feministische oder antisexistische Ansichten vertreten, auch das Gefühl verspüren müssten, kein Mann zu sein. Nicht falsch verstehen: Wenn "Mann" gleichgesetzt wird mit männlicher Hegemonie, dann fühle ich mich sicher nicht als solcher Mann. Es gibt aber zum Glück sehr viele andere Arten von Männlichkeit als jener hegemonialen. Gerade deshalb fände ich es wichtig, mehr männliche Vorbilder zu haben, die ihre Männlichkeit eben nicht durch Abwertung von Weiblichkeit definieren und zum Ausdruck bringen.

"Feminismus" vs. Feminismen

Drittens: Die Aussage, etwas sei "unfeministisch", setzt einen einzigen Begriff von Feminismus voraus, der als "der feministische Standard" postuliert und anhand dessen etwas als "feministisch" oder "unfeministisch" bewertet wird. Es gibt aber nicht den einen Feminismus. Im Gegenteil, es gibt so viele theoretische Strömungen, dass diese sich teilweise arg widersprechen: etwa der trans*-ausschließende Feminismus, der Trans*Frauen ihre Weiblichkeit abspricht und sie somit aus der Kategorie "Frau" ausschließen will – eine Richtung, die meinen feministischen Ansichten sogar sehr stark widerspricht.

In short: Nein, Mann-Sein ist kein Widerspruch zu meinem Feminismus, und spezielles Nicht-von-Geburt-an-Mann-Sein auch kein Verrat an diesem.

Was aber stimmt: Seit meiner Transition bin ich kaum noch direkt mit Sexismus konfrontiert; ich merke also schon die Benefits des Mann-Seins in dieser Gesellschaft. Dass ich davon profitiere, heißt aber nicht, dass ich nicht dafür sein kann, dass alle diese "Vorteile" (die eigentlich Selbstverständlichkeiten sein sollten) genießen können. Oder dass ich aufhöre, es absurd zu finden, dass einige Menschen aufgrund ihres Geschlechts wie auch immer geartete Benachteiligungen erfahren. Nachdem ich diesen Kontrast ja selbst erlebt habe, finde ich es eigentlich sogar noch absurder. (Mike, dieStandard.at, 22.9.2014)