Todd Trainer (li.), Bob Weston und Steve Albini (re.) sind Shellac. Ihnen geht's bestens. Sie ignorieren die Gesetze des Musikgeschäfts.

Foto: Touch & Go Rec.

Wien - Gesetze sind da, um gebrochen zu werden. Das ist keine übertrieben alltagstaugliche Einstellung, im Musikgeschäft kann man damit ganz gut fahren. Zumindest wenn man Steve Albini heißt. Der hat vergangene Woche ein neues Album mit Shellac veröffentlicht. Shellac ist ein Trio und als solches eine Art Feierabendcombo.

Einschlägige Onlinemagazine überschlagen sich gerade in der Vergabe von Punkten innerhalb des Zehneruniversums und beten den Rosenkranz der Independent Music herunter, um ihre Einschätzung zu formulieren. Nicht schlecht für eine Hobbyformation. Steve Albini ging auch unverzüglich auf Tour. Aber nur für einen Gig, und der hatte nichts mit Musik zu tun. Der in Chicago lebende Musiker und Tontechniker fuhr rüber nach Kanada, um einen Kochkurs abzuhalten. Noch so ein Hobby, dem er frönt.

Shellac ist in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Es ist eine Band ohne Homepage, ohne eigenes Facebook-Profil, ohne Twitter-Account. Sie veröffentlicht auf einem Label, das kaum mehr Lebenszeichen von sich gibt, sie betreibt keine Werbung. Die Welt ist angehalten, sie bei vorhandenem Interesse bitte selbst zu entdecken. Oder eben nicht.

Das geht sich wegen Steve Albini aus. Der 52-Jährige verfügt über 30 Jahre Erfahrung im Geschäft, eine scharfe Zunge, einen hellen Verstand und eine Haltung, die es für Geld nicht zu kaufen gilt. Albini ist ein prinzipientreuer Sturschädel. Auf Tour schleppt er vor Konzerten selber seine Verstärker und verkauft danach eigens die T-Shirts. Im Brotberuf, da produziert er Alben für andere. Das heißt, dass er die Aufnahme leitet. Das alte Bild des Produzenten als hochbezahlter Einflüsterer ist ihm verhasst.

Major Label? Böse.

Als "Engineer" hat er von Nirvana, PJ Harvey, Cheap Trick, Helmet und den Pixies auf- und abwärts alles und jeden produziert. Er einen tausendfach zitierten Text darüber geschrieben, warum sich junge Bands keinem Major Label an den Hals werfen sollten, und vorgerechnet, vor welchem Berg Schulden die Band nach drei Alben steht, wenn diese sich nicht verkaufen.

Eine Ausnahmeerscheinung war und ist Albini auch als Musiker. Das betreibt er zwar nur noch nebenbei, doch bevor er sich für den Platz hinter dem Mischpult entschieden hat, veröffentlichte er mit den Formationen Big Black und Rapemen selbst eine paar Meisterwerke. Brutale und laute, fiese und vom American Way of Life angekotzte Songsammlungen, die mit kompromissloser Dringlichkeit dargeboten wurden, die noch heute ihresgleichen suchen.

Die juvenile Hingabe ist zwar einer kontrollierteren Form gewichen, doch Wut und Spaß sind immer noch der fette Nährboden für Albinis Kunst. Das belegt Dude Incredible, das fünfte Album von Shellac. Mit Bass, Gitarre und Schlagzeug bemüht sich Shellac darauf krampflos um Ausdrucksmöglichkeiten abseits von Rockklischees. Keine Schaukämpfe, kein Genudel am Griffbrett.

So entstanden über fünf, sechs Jahre hinweg neun neue Songs. Staubtrockene Trümmer, die ihre Dynamik bei Stop-and-go-Motiven beziehen und bei der Auslassung. Bei all den Verboten, die sich Shellac auferlegen, droht natürlich dogmatischer Irrsinn, der gern einmal zur Unhörbarkeit oder Langweile führt. Nicht so auf Dude Incredible. Das zeigt die Band in einer Spiellaune, die man sonst nur live von ihr kennt.

Das gipfelt in druckvollen Rocksongs, die einen Haken schlagen, wenn sie Gefahr laufen, konventionell zu werden. Da verstummt plötzlich der Bass, da lässt der Schlagzeuger aus, oder Albini spart sich ein Riff, um es anderswo in den Boden zu rammen.

Der früher mit Geifer vorgetragene Gesang könnte zwar hin und wieder etwas mehr Speichel vertragen, aber da gibt man sich lieber Zwischensprints hin. Das postrockistische Element, das immer nach Selbstkasteiung geklungen hat, ist dieses Mal weitgehend ausgespart. Das führt zu großartigen Songs wie The People's Microphone, dem titelgebenden Opener, oder der brutalen Kleinstadtballade Gary. In der 22-jährigen Geschichte von Shellac ist Dude Incredible das bisher beste Album. (Karl Fluch, DER STANDARD, 23.9.2014)