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Foto: photodisc/archiv

Fast niemand in Sutivan wird etwas Schlechtes über ihn sagen. Im Gegenteil. Doch alle werden dazusagen, dass Ciko, der Hirte, wahrscheinlich einst aus einer anderen Galaxis (die weit, weit weg ist) nach Sutivan gebeamt wurde.

Der gute Hirte

Ich habe bereits über Ciko geschrieben. Dass er ein altes französisches Auto hat und dass es von innen nach außen vermodert. Dass etwa 200 Schafe sein Eigentum sind und er deswegen nicht Hirte genannt sein will, sondern Farmer. Und dass Ciko hilfsbereit und meist gut gelaunt ist, aber manchmal eigenartige Vorstellungen von unser aller Realität hat.

Letztes Jahr schließen Ciko und ich einen einfachen Deal rund um seinen Anhänger. Ich bekomme den Anhänger zum Abtransport des Heus und der vielen Palmenäste aus unserem Garten kostenlos. Dafür male ich eines seiner Apartments aus. Ciko packt noch einen Liter Olivenöl dazu. Es klappt bestens. Wenn auch mit Irritationen. Wie zum Beispiel Cikos Anweisung für das Ausmalen: "Du musst nichts abdecken, pass halt nur auf, dass nichts tropft!" Ich kaufe Abdeckfolie auf eigene Kosten und sage Ciko nichts weiter.

Zimmer mit Yin und Yang

Dieses Jahr hat Ciko eine andere Gegenleistung für den Anhänger im Sinn. Weil ihn dieses Jahr eine Künstlerin, die seit kurzem in Sutivan lebt, über das Innendesign seiner Apartments berät. Und die Künstlerin rät zu weißen Türstöcken, weil sie so braun, wie sie jetzt sind, sämtliche Chi-Gungs, Feng-Shuis und Wu-Tangs des Universums stören. Die Türen aber, so die Künstlerin, können braun bleiben. Einige Bilder müssen umgehängt werden, zwei müssen auf jeden Fall weg – und durch (kostengünstige) Bilder der Künstlerin ersetzt werden. Letzteres, so nehme ich an, damit wenigstens zwei Haupt-Chakren durch die Apartments strahlen. Oder so.

Hier komme ich ins Spiel. Für den kostenlosen Anhänger soll ich vier braune Türstöcke in weiße verwandeln. Dieser Deal ist erst gut, als ich zwei kostenlose Fuhren herausschlage. Und zwei Liter Olivenöl. Schließlich sind gerade Türstöcke wegen ihrer vielen, langen Kanten nicht einfach und schnell zu schleifen, grundieren und lackieren. Eines bleibt bei unserem Deal gleich: Ich muss auch diesmal nichts abdecken. Das klappt ja schon letztes Jahr beim Ausmalen so gut.

Der Schotte von Brač

Es heißt in Dalmatien, die Bewohner der Insel Brač seien die Schotten Dalmatiens, geizig und sparsam bis zur Konstipation. Wenn ein Bračanin seinen Nachbarn zum Essen einlädt, so sagt man, dann hängt er eine gesalzene Ölsardelle an die Lampe über dem Tisch und gibt dem Gast ein Stück Brot. Damit er es in den Schatten tunkt. Das sind zwar nur Geschichten böser Zungen, die den Bračani den Wohlstand neiden, den sie ihrer felsigen und wasserlosen Insel durch Fleiß und Genügsamkeit seit Jahrhunderten abringen. Wenn diese Geschichten wahr wären – und sie sind es nicht –, dann wäre Ciko selbst für die Bračani ein Schotte. Sozusagen, der König aller Schotten von Brač. Und aus einer anderen Galaxis, die weit, weit weg ist.

Diese Gewissheit erlange ich, als Ciko abends gegen 18.30 Uhr in der Kavana Palma wie aus dem Nichts auftaucht und ein Plastiksackerl auf meinen Tisch knallt. Ich bin glücklich, weil ich mein Glas Pelinkovac gerade in der Hand halte und das Notebook im Rucksack ist. Ciko ist glücklich, weil es ihm gelungen ist, das Arbeitsmaterial für das fachgerechte Schleifen, Grundieren und Lackieren von vier Türstöcken erfolgreich zusammenzuschnorren. Und genau da, wo Sekunden zuvor noch mein Pelinkovac steht, ist jetzt all das. In diesem kleinen Plastiksackerl.

Ciko fordert mich mit einer ungeduldigen Kopfbewegung auf, den Inhalt zu begutachten. Mein Arbeitsmaterial besteht aus einem Stück feinkörnigen Schleifpapiers, ca. 20 x 30 cm groß, einem 2 cm breiten und einem 10 cm breiten Pinsel, einer halb vollen Literdose weißen Primers und einer halb vollen Zweiliterdose weißen Lackes. Das Schleifpapier ist von Cikos Nachbarn. Der Rest von seinem Cousin, der gerade sturzbetrunken im Bett liegt. Ciko lacht. Und bestellt auch einen Pelinkovac. Vielleicht, so denke ich in diesem Augenblick, ist Ciko doch nur ein Avatar, den ein Alien aus der Ferne steuert.

Relativitätstheorie nach Ciko

Obwohl ich weiß, dass ich es mit Ciko zu tun habe, unternehme ich einen Versuch, mit dem Außerirdischen, der in Ciko wohnt, Kontakt aufzunehmen, um zu verhandeln. Weil es sich um physikalische Tatsachen handelt, meine ich eine gute Argumentationsbasis zu haben, als ich einwende, Primer und Lack würden vielleicht gerade für einen Türstock reichen und das Schleifpapier nur für einen Meter von einem Türstock. Überdies, so mein Argument aus Allgemeinwissen, sei es besonders schwierig, Braun durch Weiß abzudecken.

Doch Cikos außerirdischer Einwohner ist ein Optimist. Und kein Physiker. Nach einem Schluck Pelinkovac kontert Ciko mein Argument auf niemals erwartete Weise: "Ach was! Da schleifst du halt nur so ein bisschen an überall. Und dann pinselst du nur so schnell Primer drüber und morgen am Vormittag noch rasch eine Hand Lack! Und fertig! Bis morgen Nachmittag ist alles auch schon trocken! Am Abend kommen ja die ersten Gäste!"

Ich bin sprachlos. Noch nie ist mir Ciko, der Hirte von Sutivan, mein Kumpel seit 30 Jahren, so fremd erschienen wie an diesem Abend. Vielleicht ist es mir früher nicht aufgefallen, weil ich früher seinen Anhänger und den dazugehörigen Deal nicht brauchte. Weswegen meine und seine Realität nie in Konflikt geraten. Ich sage Ciko, dass mir just an diesem Morgen, beim Heben einer Bierkiste sämtliche Rückenwirbel aus den Lagern springen, was mir bis auf weiteres nur sitzende Tätigkeiten erlaubt. Wie zum Beispiel das nun hemmungslos gewordene Heben des Glases mit Pelinkovac zu meinem Mund. Ich gebe Ciko hundert Kuna. Das sind vierzig Kuna mehr, als eine Fuhre mit dem Anhänger üblicherweise kostet. So bleiben Ciko, sein Außerirdischer und ich weiterhin Kumpel.

Lamm, so viel du fotografieren kannst!

Die Bestätigung, dass es mir gelungen ist, Cikos Kumpel zu bleiben, meine ich zwei Wochen später zu bekommen. Er taucht wieder aus dem Nichts auf, abends, in der Kavana Palma, während ich Pelinkovac trinke. Und sagt: "Morgen grillen wir bei mir ein Lamm! Komm doch und mach ein paar Fotos davon!" Ich sage: "Super! Ich liebe den Geschmack von gegrilltem Lamm!" Ciko sagt: "Das kannst du nicht essen! Es gehört meinen Gästen! Du sollst nur Fotos machen!"

Ciko ist keiner, der Menschen so plump verarscht. Er hat einen ehrlich gemeinten und von ihm als genial beurteilten Plan, der "everybody happy" macht. Und der geht so: "Es ist ganz einfach, mein Freund! Du fotografierst das Lammgrillen und schreibst eine Story. Deine Zeitung zahlt dir 200 Euro. Du nimmst 100 Euro und kaufst ein Lamm bei mir. Ich brate es, und du kannst es dann essen! So haben wir beide was davon!" Und Ciko lacht, trinkt meinen Pelinkovac, lacht wieder.

Dann sagt er: "Das Geld kannst du mir später geben. Das Lamm kannst du nächste Woche haben! Falls mein Cousin dann nüchtern ist."

Geduld ist alles!

Wer bei Ciko ein Lamm bestellt, muss außer hundert Euro auch Geduld haben. Erst muss Ciko seinen Cousin anrufen. Damit der Cousin ihm hilft, ein Lamm einzufangen. Danach muss der Cousin das Lamm zu einem Mann bringen, der es schlachtet, abzieht und ausnimmt. Und dann muss der Cousin nur noch das Lamm zu Ciko nach Sutivan bringen. Dieses mühselige Unterfangen, das Ciko so viel Arbeit bereitet, funktioniert jedoch nur, wenn der Cousin nüchtern ist. Genauso wie das Ausbessern der Zäune. Oder das Scheren, das Abzählen und jede Menge anderer Verrichtungen. Aber der Cousin ist selten nüchtern.

Auch mit Cikos Anhänger muss man Geduld haben. Sogar wenn man zahlt, wartet man gut eine Woche, meist gegen sechs Uhr in der Frühe, bis der Anhänger plötzlich auf dem Parkplatz unter der großen Zypresse steht. So ist es auch dieses Jahr. Ich lade noch am selben Tag die traurigen Überreste unseres toten Feigenbaumes auf Cikos Anhänger. Unten lege ich den Stamm und die dicken Äste, obenauf die dünnen Äste, in handliche Meterstücke gesägt. Danach sichere ich die Ladung mit einem Seil, das ich um den ganzen Anhänger und über das Astwerk festziehe. Dann steht Cikos Anhänger zweiundzwanzig Tage auf dem Parkplatz.

Immer wenn Ciko in der Kavana Palma auftaucht, verspricht er am nächsten Tag den Anhänger zu holen. Was eben erst nach mehr als drei Wochen geschieht. Deswegen beginne ich mich zu fragen, wie es sich auszahlt, auf diese Weise einen Anhänger zu vermieten. Mate, der Dorfchronist, enthüllt mir auch dieses Geheimnis. Ciko hat mindestens vier Anhänger, die beladen bei jemandem warten, bis Ciko kommt. Wenn er also dringend einen Anhänger braucht, rast Ciko zum nächsten wartenden Anhänger, holt ihn, leert ihn aus und vermietet ihn dann.

Für die zweite Fuhre bringt Ciko den Anhänger erst zwei Tage vor meiner Abreise. Ich fülle ihn mit dem Heu und den Resten eines Oleanders, die auf einem Haufen seit mehr als einem Monat auf Ciko und seinen Anhänger warten. Am Tag meiner Abreise, als ich bereits mit gepacktem Rucksack das Tor zum Parkplatz versperre und mich frage, was ich mit dem verdammten Anhänger machen soll, der immer noch auf dem Parkplatz steht, taucht wie aus dem Nichts Ciko mit seinem französischen Auto auf.

Und lacht. (Von Bogumil Balkansky, daStandard.at, 22.9.2014)