Bild nicht mehr verfügbar.

Bewegendes Andenken an die Massendeportation der Krimtataren 1944. Doch auch heute ist deren Schicksal nicht einfach - vor allem nicht seit der Annektierung der Halbinsel Krim durch Russland.


Foto: REUTERS/Stringer

Sewastopol/Moskau - Auf der UN-Weltkonferenz zu indigenen Völkern in New York sind Russlands Minderheiten nur begrenzt vertreten. Mehreren Vertretern wurde die Ausreise untersagt. Während einigen Delegierten der russischen Nordvölker am Flughafen der Pass abgenommen wurde, erinnerte die Aktion gegen Nadir Bekirow, Direktor des internationalen Fonds für die Erforschung und Unterstützung indigener Völker auf der Krim, eher an einen James-Bond-Film: Sein Taxi wurde von einem Kleinbus blockiert. Dann stürmten Maskierte heraus und entrissen ihm den Reisepass, ehe sie davonbrausten.

"Eigentlich ist Bekirow ein Gegner unserer Medschlis, aber vorsichtshalber haben sie wohl entschieden, auch ihn festzuhalten", kommentierte der Krimtatarenführer Mustafa Dschemiljew den Vorfall. Ein paar Tage zuvor hatten die Behörden schon die krimtatarische Aktivistin Gajana Juksel aus dem Zug nach Kiew geworfen und ihre Papiere eingezogen.

Juksel gehört der Medschlis an, einer Körperschaft der Krimtataren. Gegen sie führen die Behörden auf der Krim einen gnadenlosen Kampf: "Aus juristischer Sicht existiert für mich so eine Organisation gar nicht. Welche Medschlis? Die Organisation wurde nicht ordnungsgemäß registriert. Es gibt sie nicht", gab das Oberhaupt der im März von Russland angeschlossenen Halbinsel, Sergej Aksjonow, die Marschrichtung in seinem jüngsten Interview vor.

Kritik nicht erlaubt

Mit der Umsetzung der Vorgabe sind die Sicherheitsorgane schon geraume Zeit beschäftigt. Höhepunkt war die Aussiedlung der Medschlis vergangene Woche: Erst durchsuchte der Geheimdienst das Hauptquartier und beschlagnahmte Computer, Dokumente und Bücher. Dann folgten - ebenfalls schwer bewaffnet - die Gerichtsvollzieher mit dem Räumungsbeschluss innerhalb von 24 Stunden. Später wurde auch das Eigentum der medschlisnahen karitativen Stiftung "Krim" gesperrt.

Grund ist die kritische Haltung der Medschlis zum Anschluss an Russland. Sie hatte die Krimtataren (etwa 13 bis 15 Prozent der Bevölkerung auf der Krim) zum Boykott des Referendums und der jüngsten Regionalwahlen aufgerufen. Tatsächlich verpasste Aksjonow bei der Parlamentswahl das selbst ausgegebene Ziel von über 75% Wahlbeteiligung deutlich, obwohl er vorher noch die Tataren vor einer "Selbstisolierung" gewarnt und ihnen Hilfe bei der Lösung ihrer Probleme versprochen hatte.

Das Vertrauen der Krimtataren ist allerdings gering. Seit sie Ende der 1980er-Jahre aus dem Exil in Zentralasien zurückkehren durften, gilt ihr Verhältnis zu den Russen auf der Krim als schwierig. "Solange der Krimtatar Russland als UdSSR begreift, wird er die Faust in der Tasche ballen", begründet der Historiker Sakir Sakirow die Hintergründe. Für die gegenseitige Antipathie gibt es aber auch aktuelle Gründe. Die Russen werfen den Tataren Landraub auf der Krim vor, diese wiederum kämpfen seit Jahren erfolglos um die Legalisierung ihres Bodens. Nun droht Aksjonow vielen Krimtataren mit einer Enteignung.

Das fördert das Vertrauen ebenso wenig wie das Versammlungsverbot oder die Ausweisung der Krimtatarenführer aus Russland. Aksjonow aber setzt weiter auf Härte: Wer den Krim-Beitritt zu Russland nicht anerkenne, werde ausgewiesen oder strafrechtlich belangt, kündigte er an. Mehrere Tausend Krimtataren haben die Halbinsel bereits jetzt verlassen.(André Ballin, DER STANDARD, 23.9.2014)