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Träumt im Exil von politischen Veränderungen und ärgert damit wieder die Familie - Moulay Hicham, der Cousin des marokkanischen Königs Mohammed VI.

Foto: Reuters

Granada - Familie kann man sich bekanntlich nicht aussuchen. Seine Königsfamilie schon gar nicht. Moulay Hicham, "der Alawide", Cousin des Monarchen Mohammed VI. und dritter in der theoretischen Thronfolge, übt in seiner auf Französisch erschienenen Autobiografie Le journal d'un prince banni ("Tagebuch eines verbannten Prinzen") harsche Kritik am autokratischen Führungsstil in der Maghreb-Monarchie.

Er fordert darin drastische, demokratische Reformen - nicht zum ersten Mal natürlich: Seit 1999 und seit dem Tod des als Tyrann bekannten Diktators Hassan II. und des Regentschaftsbeginns von Mohammed VI. vor 15 Jahren lebt er fern des Palastes im Exil - teils in Paris und meist in den USA. "Als Mitglied der Königsfamilie wird man zum Schweigen gedrillt. Ich habe mich entschlossen zu sprechen", merkt er an.

Internationaler Druck

So erfahren wir etwa: "Mein Onkel, König Hassan II., war mitunter menschlich. Seinen Allernächsten gegenüber." Foltergefängnisse, Hinrichtungen und eine Menge "Verschwundener" provozierten bereits wenige Monate vor dessen Ableben auf internationalen Druck hin die Errichtung einer Wahrheitskommission, um dessen Verbrechen zumindest ansatzweise aufzuklären. Vieles, insbesondere die Repression der Bevölkerung in der Westsahara, blieb bis heute dennoch weitestgehend im Verborgenen.

Moulay Hicham, geboren 1964 als Sohn des Prinzen Moulay Abdallah (Bruder von Hassan II.) und verheirateter Vater zweier Töchter, studierte in Princeton und Stanford. Die nach ihm benannte Stiftung widmet sich soziologischen Studien zu Nordafrika. Zudem ist er als politischer Beobachter in Jordanien, dem Kosovo und dem Irak gewesen und war als Unternehmer im Bereich nachhaltige Energien aktiv. Von seinen Gegnern wird er mit Vorliebe despektierlich "der rote Prinz" genannt.

Die Scheinreformen

Mit gutem Grund, schreibt er doch über seine Zeit an der königlichen Universität selbst: "Es war eine einzige Katastrophe. Ich bin ein Linker. Und sie wollten aus mir einen Rechten machen." Hicham trat aber für seine Positionen beharrlich ein, unter anderem auch in "Le Monde" und "Le Monde Diplomatique". Auch setzte er sich für eine konstitutionelle Monarchie ein sowie für die Protestbewegung "20. Februar" - ein unterdrücktes Aufbegehren der marokkanischen Jugend im Zuge des Arabischen Frühlings 2011.

Stets warf er auch Mohammed VI. vor, ein Scheinreformer zu sein. Und nicht, wie wohlgesinnte internationale Beobachter stets lobend unterstrichen, ein "Schritt für Schritt"-Umsetzer von Neuerungen.

Bereits lange vor seinem Erscheinen Anfang April dieses Jahres schlug das autobiografische Werk hohe Wellen. In Frankreich kursierte es zeitweise auf der Liste der meistverkauften Sachbücher. Immerhin: Zensuriert hat man es in Marokko im Gegensatz zu den meisten monarchiekritischen Publikationen nicht.

Keine Rezension

Ein möglicher Grund: Ohnehin verbreitete sich das Werk im Web via Raubkopien rasanter als im regulären Buchhandel, das Original wäre also ohnedies nicht unterdrückbar gewesen. Führende französischsprachige Medien im Maghrebkönigreich, wie die Wochenzeitung Telquel (und das arabische Pendant Nichane), publizierten allerdings auch keine Rezensionen des "verbannten Prinzen".

Die Beziehung der beiden Cousins ist seit jeher stark getrübt: "Ich habe Mohammed VI. das letzte Mal im September 1999 gesehen", schreibt Hicham in seinen 380 Seiten umfassenden Memoiren: "Er (Anm.: Mohammed VI.) war etwas gekränkt, als er nicht zur Feier anlässlich der Geburt meiner Tochter eingeladen wurde. Ich sagte ihm, das Familienoberhaupt müsse nicht eigens eingeladen werden. Seine Einladung versteht sich von selbst."

Eine Versöhnung der Cousins wird das Werk Hichams keineswegs bewirken. Durchaus hart, aber dann auch nicht zu hart, geht Hicham auch mit seiner Familie ins Gericht - gelten doch im Maghrebkönigreich drei Themen als Tabus. Religion, klarerweise, die seit Dekaden besetzte Westsahara und eben das Königshaus, dem der direkte Nachkomme des Propheten Mohammed eine Revolution bis 2018 prophezeit.

Gegen Vetternwirtschaft

Ein besonderer Dorn in Hichams Auge ist dabei das sogenannte Makhzen (arabisch für Lagerraum), das, auf seine Heimat Marokko bezogen, ein System der Vettern- und Freunderlwirtschaft in und um das Königshaus, dessen Unternehmen und Konzerne sowie den staatlichen Verwaltungsapparat meint.

Da ist aber noch mehr: "Von der klassischen Oper hatte keiner im Palast die geringste Ahnung", lamentiert der stets kulturaffine Hicham und bringt eine Fülle an chronologisch präsentierten Anekdoten, die weit in seine frühe Kindheit im Königspalast zurückragen. Hicham ist in seinen Schilderungen durchaus bissig, aber auch sehr ausführlich und bildhaft. Die Detailversessenheit aber überdeckt den klaren Blick dort, wo er auf Gerüchte um Putschpläne, Auftragsmorde und mafiös-dubiose Geschäfte eingeht. Interessantes Insiderwissen kommt also zu kurz - ganz im Gegensatz natürlich zu Moulay Hichams Utopien für eine neue Zukunft Marokkos. (Jan Marot, DER STANDARD, 24.9.2014)