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Während die Operation beendet wird, liegt das Kind bei der Mutter. "Ein wichtiger Bonding-Moment", sagt Henrich.

Foto: Felipe Dana/AP

Seit mehr als zwei Jahren gibt es eine neue Art des Gebärens an der Charité in Berlin: Die als Kaisergeburt bezeichnete Methode ist ein Kaiserschnitt, bei dem die werdende Mutter dabei zusieht, wie das Baby aus ihrem Bauch gehoben wird. Wo früher hinter Sichtschutz gearbeitet wurde und die Neo-Mutter nur erahnen konnte, ob der erste Schrei auch tatsächlich vom eigenen Kind stammte, wird nämlich immer öfter auf die Psyche von Mutter, Kind - und auch Vater - Rücksicht genommen.

Wolfgang Henrich, Direktor der Kliniken für Geburtsmedizin an der Charité, ist zwar nicht der Erfinder der Methode, aber wahrscheinlich der lauteste Verfechter davon im deutschsprachigen Raum. Auch der Begriff Kaisergeburt wurde an seinem Berliner Spital entwickelt.

"Natürliche" Herangehensweise

Die Vorgehensweise: Nach dem Öffnen des Bauches der Frau wird der Vorhang entfernt, der normalerweise die Patientin von dem Geschehen am Operationstisch abschirmt. Auch ihr Kopfteil wird angehoben, damit der Blick frei auf den Kopf des Kindes ist, der aus dem Uterus geholt wird.

"Wir möchten werdenden Eltern ein Geburtserlebnis bieten, bei dem der Operationsaspekt in den Hintergrund rückt", erklärt der Mediziner. Als Erfinder der Methode gilt der Australier Nick Fisk, der zu diesem "Natural Caesarean" schon vor sechs Jahren einen Artikel veröffentlichte: Es ist eine "natürliche" Herangehensweise, die die vaginale Geburt nachahmt, heißt es in dem Artikel.

Ganz so natürlich verläuft die Kaisergeburt nicht. Es ist eine Operation, die auch Risiken birgt, über die werdende Mütter aufgeklärt werden, betont Henrich. Außerdem muss es eine Indikation für den Eingriff geben. Zur Anwendung kommt die Methode sowohl geplant, als auch bei einem gescheiterten Versuch der vaginalen Geburt - aber nur, wenn sich die Operation gut entwickelt, so Henrich. Das bedeutet: Wenn starke Blutungen und Komplikationen auftreten, dann bleibt der Vorhang zu.

Komplikationen vermieden

Nachdem der Oberkörper des Kindes aus dem Uterus geholt wird, wird kurz gewartet, sagt Henrich. Das ist wichtig: "Die Weichteile der Mutter komprimieren den Brustkorb des Kindes, so wie das im Geburtskanal auch ist." Im Unterschied zum herkömmlichen Kaiserschnitt, wo alles schnell geht, könnten so Komplikationen wie eine feuchte Lunge beim Baby vermieden werden.

Schließlich wird das Kind herausgeholt - und zwar so, dass es die Mutter die ganze Zeit im Blick hat. Dem anwesenden Partner wird dann angeboten, wie bei der vaginalen Geburt die Nabelschnur zu durchtrennen. Ein Angebot, das gerne angenommen wird und laut Henrich danach oft als "magischer Moment" bezeichnet wird.

Einer der wohl größten Unterschiede zum herkömmlichen Kaiserschnitt: Das Baby wird dann rasch auf den Oberkörper der Mutter gelegt, und nicht wie sonst üblich rund zehn Minuten untersucht und gewogen. "Das ist ein wichtiger Bonding-Moment für Mutter und Kind", sagt Henrich. Studien hätten gezeigt, dass Mütter, die durch Kaiserschnitt entbunden haben, ein weniger zufriedenstellendes Geburtserlebnis hätten. Das werde durch die Kaisergeburt nun anders wahrgenommen. Mit der Methode käme es zu einer besseren Adaptation des Kreislaufs und der Atmung des Kindes. Die Eltern würden die verbleibende Operationszeit außerdem als kürzer empfinden.

Kritik an Methode

Nach der Geburt wird der Sichtschutz wieder angebracht: "Denn dann kommt der blutigere Teil der Operation", meint Henrich. Während der Vorhang offen ist, sei kaum Blut zu sehen. Umgekippt sei ein werdender Vater auch noch nie.

In Fachkreisen wird die Kaisergeburt aber nicht nur positiv angenommen. Der Deutsche Hebammenverband zum Beispiel kritisierte, dass die Methode den Trend zu "immer mehr Wunsch-Sectios" verstärken könnte. Das stimmt nicht, sagt Henrich: "Bei uns wurde nicht eine Sectio mehr gemacht aufgrund der Kaisergeburt als in den Jahren zuvor." Auch eine Verharmlosung einer Operation sieht er nicht: "Wieso soll ich einen Eingriff, für den es eine Indikation gibt, nicht angenehmer gestalten?"

Der Mediziner versteht aber, woher die Kritik kommt: "Ich musste mir ja auch selbst eingestehen, dass ich 23 Jahre lang den Leuten einen ganz einfachen Kunstgriff vorenthalten habe." Er sieht in der Kritik auch eine "Herrschaftsgeste der Mediziner": "Die Frau wird abgeschottet und wir agieren hinter dem Tuch als Großmeister." Aber am Ende entscheide die Patientin - und die entscheide sich an der Charité in überwiegender Mehrheit für die Kaisergeburt.

Dogmenwechsel

Er schätzt, dass in seinem Krankenhaus bisher weit mehr als 1000 solche Kaisergeburten durchgeführt hat. Sie wird auch schon an anderen deutschen Kliniken praktiziert. In Österreich wird diese Art des Gebärens bisher aber noch nicht angeboten - zumindest nicht unter dem Namen, wie Peter Husslein, Vorstand der Universitätsklinik für Frauenheilkunde am AKH Wien, betont.

Denn auch an seinem Krankenhaus werde Wert darauf gelegt, die Rahmenbedingungen beim Kaiserschnitt so zu gestalten, dass es ein positives Erlebnis wird. "Der Partner muss, wenn er will, dabeisein können", so Husslein. Immer wieder werde auch in Wien der Vorhang während dem Kaiserschnitt abgenommen: "Aber das wollen nicht alle", sagt Husslein. Auch dass das Baby gleich nach die Geburt auf die Mutter gelegt wird, komme nicht so oft vor: "Die Mütter haben bei uns dieses Bedürfnis nicht. Aber vielleicht hat das auch mit Gewöhnung zu tun."

Husslein plädiert für die Wahlfreiheit der Frau. Der Kaiserschnitt ist zwar eine Operation - aber eine, die mittlerweile so sicher ist, wie die vaginale Geburt, sind sich die Experten einig. "Dieser Eingriff ist bereits so vereinfacht, dass wir uns jetzt mehr darauf konzentrieren müssen, dass wir die Psyche der Frau miteinbeziehen", sagt Charité-Mediziner Henrich.

Denn auch in Österreich werden immer mehr Kaiserschnitte durchgeführt. Fast jede dritte Frau bringt ihr Kind hierzulande durch diesen Eingriff zur Welt. Frauen hätten früher oft bemängelt, dass sie - getrennt durch den Vorhang - gar nicht wirklich wissen könnten, ob das Baby, das sie später in den Arm gelegt bekommen, auch wirklich das ihre ist, erzählt Henrich: "Diese zeitliche Lücke haben wir geschlossen." (Franziska Zoidl, derStandard.at, 26.9.2014)