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Großer Abend: Dirigent John Eliot Gardiner.

Foto: APA/Bach-Archiv Leipzig/Gert Mothes

Wien - Manchmal können scheinbare Nebensächlichkeiten besonders aufschlussreich sein. Häufig wirken die Resonanzen von Originalklangformationen im Großen Konzerthaussaal etwas verloren. Und dann ist die historische Distanz zwischen den akustischen Bedürfnissen um 1900 und den Qualitäten Alter Musik zuweilen offenkundig. Als die English Baroque Soloists und der Monteverdi Choir den Saal erfüllten, war nichts dergleichen zu verspüren. Möglich, dass die viel längere Tradition großformatiger Konzerte auf der Insel noch immer ihre Wirkung auf Klangfülle und Gestus der Musizierpraxis ausübt.

Dass die Übersiedlung der Sakralmusik von Bach, Domenico Scarlatti und Händel normal erschien, war aber vor allem John Eliot Gardiner zu verdanken, der mit jeder Nuance auf klangliche Gegebenheiten des Ortes einzugehen schien. Bei anderen, auch großen, Dirigenten ist das keine Selbstverständlichkeit. Die vermeintliche Nebensache wurde so zum A und O dieses Ereignisses, nicht nur dann, wenn der 71-jährige Sir mit seiner Rechten einer Figuration bis unter das Dach des Hauses folgte. Dass sie Gardiner folgten - das wäre für die Reaktionen der Musikerinnen und Musiker eine unangemessene Beschreibung. Vielmehr wirkten das Instrumental- und Vokalensemble unlöslich mit ihrem Gründer verschmolzen, zu einem gemeinsamen Atem verbunden, was noch das Verhältnis zwischen den polyfonen Linien und dem orgelhaft kompakten Gesamtklang in Scarlattis "Stabat Mater" bestimmte.

Zuvor mündete in Bachs Kantate "Christ lag in Todesbanden" alle Düsternis in geradezu rauschhaften Jubel, wobei die rhetorischen Extreme zwischen der Sünden Nacht und freudiger Hoffnung zuweilen fast didaktisch wirkten - aber das ist Bach ja auch -, dabei stets gemeißelt scharf und wie ziseliert. Mit ebenso feinen Abschattierungen war auch die Pracht von Händels "Dixit Dominus" verbunden; Didaktik wich hier mächtiger Klarheit und ungeahnt berührenden Vokalsoli.

Das lag wohl auch daran, dass sich die Chormitglieder nicht als große Individualisten gerierten und gerade deshalb individuell, authentisch wirkten. Standing Ovations und Dacapo des vorletzten Satzes, dem Gardiner nochmals Schwerelosigkeit einhauchte. Großer Abend im Großen Saal. (Daniel Ender, DER STANDARD, 30.9.2014)