Der österreichische Arbeitnehmer ist entweder krank oder gesund. Dazwischen gibt es derzeit nichts. Sobald der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht mehr in vollem Ausmaß erbringen kann, wird er krankgeschrieben. Auch eine Teilzeitbeschäftigung hilft hier nicht weiter: Selbst wenn diese krankheitsbedingt vereinbart wird, hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch auf (ergänzendes) Krankengeld. Zusätzlich kann ein Arbeitgeber Teilzeitverlangen nach derzeitiger Rechtslage ohne weiteres ablehnen.

Seit geraumer Zeit wird daher in vielen Medien diskutiert, ob in Österreich das System des Teilzeitkrankenstandes eingeführt werden sollte. Dieses Modell beruht im Wesentlichen darauf, dass Arbeitnehmer den Verdienstausfall, der durch eine krankheitsbedingte Teilzeitbeschäftigung herbeigeführt wird, ausgeglichen bekommen.

Ein schrittweiser Wiedereinstieg in den Beruf nach längerer Krankheit ist auf den ersten Blick menschlich und wirtschaftlich wünschenswert. Gerade bei schweren Erkrankungen mit langer Rekonvaleszenz und bei psychischen Erkrankungen kann ein sanfter Wiedereinstieg in das Berufsleben für Arbeitnehmer und Arbeitgeber Sinn ergeben. In bestimmten Fällen wäre die Ausübung einer Beschäftigung aus medizinischer Sicht sogar empfehlenswert.

Es werden ähnliche Lösungen angedacht, wie sie derzeit bereits in Deutschland, Schweden und der Schweiz bestehen. Allerdings ist die zugrundeliegende Rechtslage in den genannten Ländern durchaus unterschiedlich. In Schweden haben Mitarbeiter einen Anspruch auf Teilzeitkrankenstand und sind berechtigt, einen Krankenstand im reduzierten Ausmaß ihrer Normalarbeitszeit (ab 25 Prozent) zu verlangen, und zwar für einen unbegrenzten Zeitraum. In der Schweiz richtet sich die Lohnfortzahlungspflicht nach dem Umfang des Lohns: Hat beispielsweise ein Mitarbeiter einen Lohnanspruch für acht Wochen und ist er zu 50 Prozent krankgeschrieben, erhält er während 16 Wochen den vollen Lohn, und erst danach tritt eine Lohnkürzung ein. Voraussetzung ist immer ein ärztliches Attest, in welchem die teilweise Arbeitsfähigkeit festgestellt wird. Dies setzt eine umfassende Kenntnis des Arztes über den Patienten, seine beruflichen Verpflichtungen und sein Arbeitsumfeld voraus, was in der Praxis sicher schwer zu realisieren ist.

Deutschland ist anders

In Deutschland geht man einen anderen Weg: Hier bestätigt der Arzt nur, dass der Arbeitnehmer die bisherige Tätigkeit teilweise wiederaufnehmen kann. Die Tätigkeit des Arbeitnehmers ist freiwillig. Er erhält dafür auch kein Geld vom Arbeitgeber. Typischerweise wird dabei das Stundenausmaß über mehrere Wochen schrittweise gesteigert. Aus arbeitsrechtlicher Sicht ist der Arbeitnehmer weiter arbeitsunfähig und bezieht Krankengeld vom Sozialversicherungsträger, aber nicht mehr.

Arbeitnehmern, die länger als sechs Wochen im Krankenstand sind, ist zudem die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements anzubieten. Das ist ein freiwilliges Verfahren, bei dem abgeklärt werden soll, ob die betrieblichen Arbeitsbedingungen zur Erkrankung beigetragen haben und durch welche Maßnahmen die Rückkehr des Arbeitnehmers an den Arbeitsplatz ermöglicht werden kann. Als Maßnahmen kommen etwa technische Hilfsmittel, Fortbildungen, eine Umstrukturierung von Betriebsabläufen oder eben auch eine stufenweise Wiedereingliederung infrage. Formell ist der Mitarbeiter jedoch weiterhin krank.

In Österreich bestehen bereits komplexe Regelungen zur Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers im Krankheitsfall. Die Einführung eines allgemeinen Anspruchs auf Teilzeitkrankenstand würde eine komplette Neuregelung der Entgeltfortzahlung erfordern. Zu klären wären insbesondere die Voraussetzungen für einen Anspruch, die Dauer und Höhe der Entgeltfortzahlung, die Berechnung der Fristen, die Auswirkungen auf eine neue Erkrankung, Auswirkungen auf Sonderzahlungen, Urlaubstage etc. Zudem müsste natürlich das Sozialversicherungsrecht geändert werden, und zwar die Bestimmungen zur Höhe und Dauer des Krankengeldanspruchs. Derartige Änderungen hätten weitreichende Folgen, auch im Hinblick auf die über lange Jahre gewachsene Rechtsprechung, die dann möglicherweise obsolet würde.

Arbeitnehmer haben bereits sehr weitreichende Ansprüche bei Krankheit. Erwartungsgemäß kritisieren Arbeitnehmervertreter daher das Modell des Teilzeitkrankenstandes und beurteilen Arbeit "im Normalfall als nicht förderlich für die Gesundung". Überdies wird zu hoher Druck vonseiten der Arbeitgeber befürchtet, dass Arbeitnehmer trotz Krankheit arbeiten müssen. Dennoch sieht man auch hier, dass es Fälle geben kann, wo ein teilweiser Wiedereinstieg in das Arbeitsleben auch förderlich sein kann.

Bei längerem Krankenstand

Ein Teilzeitarbeitsmodell wird sich nur dann durchsetzen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenüber dem jetzigen System einen Vorteil hätten. Arbeitnehmer müssten ein durchsetzbares Recht auf Teilzeit gegenüber dem Arbeitgeber haben, ohne ihren Krankengeldanspruch zu verlieren. Zu überlegen wäre daher allenfalls die Einführung eines Teilzeitkrankenstandes nach Ablauf der jeweiligen Entgeltfortzahlungspflicht, also insbesondere bei langen Krankenständen. Das schwedische Modell hat gezeigt, dass Teilzeitkrankenstand regelmäßig am Ende eines "Vollzeitkrankenstandes" konsumiert wird. In Schweden sind mehr als 50 Prozent von Krankenständen, die mehr als 30 Tage betragen, Teilzeitkrankenstände. Damit fällt zunächst der gefürchtete Druck weg, dass Arbeitnehmer trotz Krankheit arbeiten müssen. Sie können ihren Entgeltfortzahlungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber wie bisher voll ausschöpfen. Danach hätten sie die Möglichkeit, ihr Krankengeld durch zusätzliche Teilzeitarbeit aufzubessern.

Eine Alternative wäre die Einführung einer "Rehabilitationsteilzeit" analog zur bestehenden Regelung der Altersteilzeit. Dabei kann die Arbeitszeit um 40 bis 60 Prozent verringert werden, der Arbeitnehmer erhält aber weiterhin zwischen 70 und 80 Prozent des bisherigen Einkommens. Die finanzielle Mehrbelastung wird dem Arbeitgeber durch staatliche Zuschüsse ausgeglichen. Zusätzlich sollte für eine solche Rehabilitationsteilzeit aber eine Einigung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erforderlich sein. Ein Vorteil für alle. (DER STANDARD, 2.10.2014)