Harald Mahrer möchte möglichst vielen Menschen den Zugang zum tertiärer Sektor ermöglichen. Denn Bildung sei das "höchste Gut" einer Gesellschaft.

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UniStandard: Sie sind seit kurzem Staatssekretär im Wissenschaftsministerium. 1995 bis 1997 waren Sie an der WU Vorsitzender der Hochschülerschaft (ÖH). Ändert sich durch die Position auch die Perspektive?

Harald Mahrer: Gar nicht. Ich war ein leidenschaftlicher Bildungspolitiker in meiner aktiven ÖH-Zeit und bin das nach wie vor. Ich bin innig mit dem tertiären Sektor verbunden - er ist wahnsinnig wichtig für die Gesellschaft. Unis sind Entwicklungsleuchttürme, an denen man sich orientieren kann. Man kann gar nicht genug für sie machen.

UniStandard: "News" zitierte Sie aus "WU aktuell" in Ihrer ÖH-Zeit: "Die ÖH WU wird sich weiterhin gegen jede Form der Beschränkung des Rechts auf Bildung aussprechen." Damals waren Sie strikt gegen Zugangsbeschränkungen - haben Sie Ihre Meinung geändert?

Mahrer: An meiner grundsätzlichen Haltung, dass man möglichst vielen Menschen einen Zugang zu tertiärer Bildung ermöglichen soll, hat sich nichts geändert. Das ist nicht immer Mehrheitsmeinung, aber ich denke, dass Bildung das höchste Gut ist, das eine Gesellschaft ihren Mitgliedern weitergeben kann. Mit anderen Curricula und höherer Studierendenmobilität haben sich heute die Rahmenbedingungen jedoch geändert.

UniStandard: Sollen Studienplatzfinanzierungen ausgebaut und Beschränkungen erweitert werden?

Mahrer: Alles muss evaluiert werden. Budgetär gilt, dass wir noch keinen magischen Bankomaten gefunden haben, von dem wir alles frei verteilen können. Die Situation wird nicht einfacher, sondern schwieriger.

UniStandard: Werden also mehr Fächer beschränkt?

Mahrer: Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Man muss abwarten.

UniStandard: Wie kann das Ziel, zwei Prozent des BIPs in Bildung zu stecken, erreicht werden?

Mahrer: Wir bemühen uns um die Hochschulmilliarde. Erst wollen wir mit 615 Millionen die Inflation abdecken. Der Rest betrifft Bauten, Infrastruktur und Forschung.

UniStandard: Um den Unis mehr Geld zu verschaffen, setzen Sie auch auf private Stiftungen?

Mahrer: Wir planen ein Bundesgesetz zur Förderung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Dieses soll eine Novellierung des bestehenden Bundesstiftungs- und Fondgesetzes und eine Änderung im Steuer- und Abgabenrecht beinhalten. Wir wollen es einfacher machen, gemeinnützige Stiftungen zu errichten.

UniStandard: Was soll das Gesetz bringen?

Mahrer: Beispielsweise eine steuerliche Anreizwirkung. Außerdem sollen Benachteiligungen für Stiftungen reduziert werden: Momentan müssen sie 25 Prozent an den Staat zahlen, wenn sie Geld gemeinnützig ausschütten - das ist eine Idiotie und eigentlich schwer prohibitiv. Auch wollen wir es erleichtern, Stipendien und Preise zu vergeben. Im vierten Quartal soll das Gesetz in Begutachtung gehen.

UniStandard: Gibt es denn genügend Spenderpotenzial in Österreich?

Mahrer: Ja. Das Potenzial ist da, wenn nur die Anreizwirkungen stimmen. Stiftungen hatten bei uns eine lange Tradition. Durch die Arisierung von Stiftungsvermögen und den Zweiten Weltkrieg nahm das gemeinnützige Stiftungswesen aber ein abruptes Ende und ist in der Zweiten Republik nicht mitgewachsen.

UniStandard: Sind Studiengebühren für Sie eine Option, das Uni-Budget aufzubessern?

Mahrer: Ich habe immer gesagt, dass ich mir Studiengebühren vorstellen kann, aber nicht, wie sie in meiner ÖH-Zeit angedacht waren. Sie wären damals ins Budgetloch geflossen, die Unis hätten keinen Euro gesehen. Ich kann mir Studiengebühren nur mit einem verbesserten Stipendiensystem vorstellen und nur dann, wenn dadurch die Mittel für die Unis aufgestockt werden.

UniStandard: Welche Reformen im Stipendiensystem sind notwendig?

Mahrer: Die soziale Absicherung von Studierenden war mir immer ein Anliegen. Seit ich studiert habe, hat sich in den Lebensumständen sehr viel geändert. Früher haben weniger Menschen nebenher gearbeitet. Aber die Frage ist, wo der irische Koboldtopf voller Goldmünzen ist und der magische Bankomat. Wenn man eine Reform des Stipendiensystems diskutieren will, dann nur in einer Gesamtfinanzierungsdebatte. Einzeln isoliert ist das nicht sinnvoll.

UniStandard: Was bedeutet Chancengerechtigkeit für Sie?

Mahrer: Dass zu Beginn der Lebensentwicklung gegen die - durch unterschiedliche soziodemografische Faktoren bedingten - Unterschiede Ausgleichsmaßnahmen vorgenommen werden. Darum will ich, dass wir in der bildungspolitischen Debatte den Fokus auf den Anfang der außerfamiliären Bildung legen. Wir müssen solidarisch ein Bildungssystem so organisieren, dass jedes Kind die beste Bildung haben kann.

UniStandard: Eine andere Frage der Chancengerechtigkeit betrifft ausländische Studierende: Die Regierung beklagt, dass Leute hier studieren und nach dem Abschluss wegziehen. Gleichzeit werden Leute, die arbeiten wollen, nach dem Studium ausgewiesen - wie der Fall einer gebürtigen Serbin (siehe Artikel U3). Ist das nicht paradox?

Mahrer: Unser System ist sicher nicht perfekt. Wir haben überall Optimierungsbedarf - sicherlich auch da.

UniStandard: Was wollen Sie diesbezüglich tun?

Mahrer: Ich weiß vom Besuch des Vorsitzteams der ÖH, dass das ein Thema ist. Wir prüfen das und werden uns anschauen, ob wir hier helfen können - auch in Abstimmung mit Innen- und Außenministerium.

UniStandard: Wie ist Ihre Gesprächsbasis mit der ÖH?

Mahrer: Es gibt ein gutes Gesprächsklima. Ich glaube, dass Studierende - genau wie die Mittelbauvertretung, die professorale Vertretung oder ein offizielles Organ - eine spezifische Sicht auf die Welt der Universität haben. In einer Demokratie ist es wichtig, diese Sichtweisen einzubringen.

UniStandard: In Ihrer ÖH-Zeit haben Sie auch zu Demos aufgerufen - etwa gegen geplante Einsparungen. Wie stehen Sie heute zu diesem Protest?

Mahrer: Ich war 1996 der erste ÖH-Vorsitzende, der erfahren hat, dass Einsparungen geplant sind. Ich bin mit dieser Information ins SoWi-Zentrum der Uni Wien gefahren - damals noch am Rooseveltplatz. Die Uni-Wien-Kollegen haben von dort weg das Audimax besetzt. Wenn man sonst nicht gehört wird, muss man seinen Protest mit lauter Stimme zum Ausdruck bringen. Für eine kreative Form des Protests muss in einer Demokratie Platz sein - davon lebt sie.

UniStandard: Haben Sie damals auch selbst das Audimax besetzt?

Mahrer: Nein, aber wir haben den gesamten Betrieb an der WU eingestellt. Die erste Demo, die es damals gab, haben wir von der WU weg gestartet. Wir haben Kränze niedergelegt vor der ÖVP- und der SPÖ-Zentrale mit der Aufschrift "Ihr tragt die Bildung zu Grabe". Wir haben uns nicht vor Aktionismus gescheut. Ich war sicherlich nie ein Berufsrevoluzzer, aber es ist legitim, wenn Dinge in eine falsche Richtung gehen, dagegen zu protestieren.

UniStandard: Auch mit Besetzungen?

Mahrer: Ist nicht mein Ding, aber wenn jemand etwas besetzen will, soll er besetzen.

UniStandard: Wie beurteilen Sie, dass das Wissenschaftsressort im vergangenen Jahr viel herumgeschoben wurde - erst ins Wirtschaftsministerium, nun sind Sie hinzugezogen worden?

Mahrer: Es ist nichts zu mir geschoben worden. Der Vizekanzler und ich sind beide zuständig. Ich glaube, dass es dadurch aufgewertet worden ist - es gibt jetzt in der Bundesregierung zwei Leute, die für die Wissenschaft zuständig sind und für sie kämpfen können. Seit ich im Amt bin, habe ich von den Hochschulen keine negative Rückmeldung bekomme. Es kann kein Fehler sein, einen ehemaligen ÖH-Vorsitzenden auch dort zu haben. Jemanden, der den Betrieb von innen kennt - aus anderer Perspektive.

UniStandard: Angenommen, Sie würden den magischen Bankomaten finden, von dem Sie vorhin gesprochen haben, und müssten auf Budgetvorgaben keine Rücksicht nehmen: Wie würde Ihre ideale Universität aussehen?

Mahrer: Ich würde mir für die Bildung in 25 Jahren wünschen, dass wir die besten Kindergärten und Schulen haben, dann würde sich ergeben, dass unsere Hochschulen zu den besten der Welt gehören - denn wir hätten die besten Studierenden. Das wäre mein bildungspolitischer Traum für dieses Land. (Oona Kroisleitner, Tanja Traxler, DER STANDARD, 2.10.2014)