Anwalt Gabriel Lansky hat Pech. Anna Politkowskaja lebt nicht mehr. Die mutige russische Journalistin und unbestechliche Kritikerin des Zweiten Tschetschenien-Kriegs und der autokratischen Politik in ihrer Heimat wurde am Geburtstag Putins vor acht Jahren, am 7. Oktober 2006, erschossen. Politkowskaja könnte Lansky am besten erklären, warum er mit der Stoßrichtung seines Kommentars "Sanktionen sind kein Politikersatz" (DER STANDARD, 26.9.) danebensticht, auch wenn er manche Problemfelder - Beispiel Nato-Erweiterung ohne Wenn und Aber - richtig ins Visier nimmt. Lansky verspottet das EU-Sanktionenregime gegen Russland "als Placebo für eine aus dem Ruder gelaufene europäische Politik der östlichen Nachbarschaft" und als "politisch falsch und ökonomisch kontraproduktiv" .

Ich unterstütze in dieser Frage die Position von Politkowskaja, die schon lange vor Ukraine- und Krim-Krise geklagt hatte: "Ich gebe zu, dass mich Depressionen befallen, wenn ich sehe, wie Europa sich Putins Russland gegenüber verhält. Es erinnert fatal an die Jahre des Kommunismus, an das altbekannte menschenverachtende Prinzip: Soll es dort ruhig einen Eisernen Vorhang geben, soll dort Tyrannei herrschen, solange wir uns nur heraushalten können und davon unbeschadet bleiben, solange Erdöl und Erdgas nur schön weiter zu uns fließen."

Das Heraushalten Europas war es, das die europäische Russin am meisten geärgert und wohl auch gekränkt hat. Das Heraushalten, um nicht wirtschaftliche Vorteile zu gefährden. Das Heraushalten, damit nur ja die Pipelines in die eine Richtung offen bleiben und der Rubel in die andere Richtung rollt. Denn es greift ja viel zu kurz, die aktuelle EU-Sanktionspolitik nur auf die Vorgänge in der Ostukraine und auf der Krim zu beschränken. Das Russland-Problem, oder genauer, das Putin-Problem beschäftigt die EU ja nicht erst seit diesem Frühjahr und Sommer - auch wenn es viele, vor allem in Österreich, nicht wahrhaben wollten und glaubten, mit einem Olympia-Schnapserl in Sotschi oder guter Miene zum bösen Spiel bei Putin-Empfängen in Wien lassen sich tiefgreifende politische Auffassungsunterschiede zu Menschen- und Minderheitenrechten, zu Grundrechten wie der Medienfreiheit oder dem Umgang mit Oppositionellen einfach wegprosten und wegschunkeln.

Wo waren und sind denn die Unternehmen und Wirtschaftstreibenden, die ihren russischen Partnerfirmen gegenüber klarmachen, wie wichtig die Einhaltung von Menschenrechtsstandards und demokratischen Prinzipien ist? Wie war das denn mit den tausenden Arbeitssklaven und -sklavinnen auf den Baustellen für das Olympia-Eldorado Sotschi? Da höre ich immer wieder: Das muss die Politik regeln! Eine von Wirtschaftsinteressen getriebene Politik wird sich dafür jedoch nicht (zumindest nicht mit dem erforderlichen Nachdruck) einsetzen. Und damit sind wir wieder beim ständigen Heraushalten, das nicht nur Anna Politkowskaja an Europa und der EU-Politik hat verzweifeln lassen.

"Mit nur einer Hand lässt sich kein Knoten knüpfen", lautet ein russisches Sprichwort, mit dem ich Lansky auch auf seine Abqualifizierung der EU-Partnerschaftspolitik antworten möchte. Seit über fünf Jahren verfolge ich im außenpolitischen Ausschuss des Europaparlaments diese Programme der östlichen Partnerschaft mit dem Ziel, die demokratischen Reformen in den östlichen Nachbarstaaten zu fördern. Es gibt Fortschritte, zweifellos, regelmäßig werden diese aber von Rückschlägen übertroffen, die meiner Erfahrung nach vor allem einem Umstand geschuldet sind: Das unter Wladimir Putin etablierte autokratische System Russlands mit seiner außenpolitischen Geschmeidigkeit und innenpolitischen Härte übt auf einige Nachbarn mehr Anziehungskraft aus und lockt mit mehr Versprechen als die Angebote der EU.

Andererseits übersehen Lansky und andere bei ihrer Kritik an der EU-Außenpolitik den Umstand, den ich mit einer Adaptierung des zitierten russischen Sprichworts beschreiben möchte: "Auch mit zehn, zwanzig und mehr Händen lässt sich kein Knoten binden." Die Nachbarschaftspolitik leidet vor allem an der großen Schwäche, dass die meisten Mitgliedstaaten keine wirkliche gemeinsame Außenpolitik zulassen und jeder, Österreich inklusive, gerne das von Eigeninteressen gewürzte Süppchen kocht. Eine gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik muss gerade und vor allem gegenüber Russland auch in Energiefragen gemeinsam agieren - Soloauftritte von Ländern wie Österreich etwa beim jüngsten OMV-Gasprom-Deal zu South Stream sind da alles andere als hilfreich.

Deswegen begrüße ich es, dass die EU bei der Frage nach einer angemessenen Reaktion auf die Putin'sche Aggression auf der Krim und in der Ostukraine neben Gesprächsversuchen mit gemeinsamen Sanktionen geantwortet hat. Das war kein überhasteter Schnellschuss, sondern der Versuch, mit zielgerichteten Sanktionen ein Umdenken und Einlenken in Russlands politischen wie wirtschaftlichen Führungskadern herbeizuführen. Und die Sanktionen wirken, oder warum sonst gibt Putin erstmals der Waffenruhe in der Ostukraine eine Chance, ihre Wirkung zu entfalten?

"Smart sanctions" sind aber natürlich nur ein Zweig in einem Geäst von Gesprächs-, Deeskalations-, Friedens- und Stabilisierungsbemühungen in der Region. Die Sanktionen haben einen weiteren positiven Effekt, der für die energiepolitische Zukunft der EU von entscheidender Bedeutung ist. Wieder einmal und so deutlich wie nie zuvor hat sich die Energieabhängigkeit der EU gegenüber Russland (drei Milliarden Euro pro Woche kosten die Energieimporte aus Russland die EU-Mitgliedsstaaten) als die große Schwäche der EU-Außenpolitik gezeigt. Nur mit einem sukzessiven Ausstieg aus Öl und Gas lässt sich diese Abhängigkeit von Russland und anderen Autokratien verringern. (Ulrike Lunacek, DER STANDARD, 2.10.2014)