Mit 17 verfiel er - erst als Schauspieler - dem Theater. Heute ist er nicht nur einer der bekanntesten ungarischen Regisseure, sondern einer der schärfsten Kritiker der Orbán-Regierung: Árpád Schilling. In Ungarn zu leben und arbeiten sei "schmerzvoll und beschämend zugleich".

Foto: Máté Tóth Ridovics

Bad Gleichenberg - "Die Partei, die Partei, die hat immer recht", sangen einst die Genossen in der DDR. Ein Parteiapparat, der als Machterhaltungsinstrument fungiert, war auch titelgebend für Árpád Schillings Stück A Párt - Die Partei - The Party, das beim Steirischen Herbst seine deutschsprachige Erstaufführung in Bad Gleichenberg erleben soll.

In die kommunistische Vergangenheit seiner Heimat Ungarn reist Schilling mit seinem legendären 1995 gegründeten Ensemble Krétakör (Kreidekreis - der Name erinnert nicht zufällig an Brecht) dafür aber nicht. Es geht um die Gegenwart Ungarns, geprägt von der Regierung Viktor Orbáns, die Künstlern, Medien und Andersdenkenden den Kampf angesagt hat.

Eine Kleinstadt irgendwo in Ungarn, wo Demagogie, Populismus und Fremdenhass herrschen, sollte das Setting für die analytische Arbeit sein. Wie der Mittelstand auf die Macht reagiert, sollte untersucht werden. Doch dann passierte in den letzten Monaten, ja: Wochen so viel, dass sich der 1974 in Cegléd geborene Schilling entschied, von einer analytischen Arbeit, wie sie ursprünglich konzipiert war, Abstand zu nehmen. Was das Publikum nun erwartet, ist eine direkte, persönliche Kritik an einem Land, in dem Schilling mit anderen international angesehenen Gruppen und NGOs auf einer schwarzen Liste steht. Der neue Untertitel: The Party is Over. Schilling wird selbst auftreten.

Auf die "Blacklist" kam Schillings Ensemble, weil es Fördergelder vom norwegischen Kohäsionsfonds, der regierungsunabhängige Organisationen beim Aufbau von Demokratie fördert, bekam. Das reicht, um in Ungarn verdächtig zu sein. Eine 20-jährige, international erfolgreiche, preisgekrönte Karriere wie jene des Ensembles Krétakör, das seit 2008 auch Produktionsbüro ist, ist da egal.

"Heute in Ungarn zu leben und zu arbeiten ist schmerzvoll und beschämend zugleich", schreibt Árpád Schilling, der derzeit die Janácek-Oper Die Sache Makropulos an der Bayerischen Staatsoper inszeniert, dem Standard, "ich wäre gerne stolz auf meine Heimat, aber ich fliehe lieber vor ihr. Fliehe so weit weg wie nur möglich."

Die Kapitulation der Linken

Die Nominierung des Justizreformers der Fidesz-Partei, Tibor Navracsics, zum EU-Kommissar für Bildung, Jugend, Kultur und Bürgergesellschaft brachte für Schilling das Fass zum Überlaufen. Er und andere Performer hatten bei Jean-Claude Juncker protestiert, denn "Tibor Navracsics bedeutet null Moral", so Schilling.

Die nächste herbe Enttäuschung für Schilling: Ausgerechnet Literatur-Nobelpreisträger und Holocaustüberlebender Imre Kertész bekam kürzlich den unter Orbán wiedereingeführten Sankt-Stephans-Orden verliehen - und vor allem: Er nahm ihn an. Schilling sieht darin einen Teil der Kapitulation der linksliberalen Gesellschaft in Ungarn. Denn besagter Orden ist symbolträchtig. In den 1940er-Jahren wurde er Hermann Göring von Miklós Horthy verliehen, wie der Theatermacher betont. Nach der Kritik, die Kertész "berechtigterweise am Regime Orbán in internationalen Zeitungen geübt hatte, ist seine Annahme des Preises schockierend", so Schilling - immerhin "war es die Horthy-Regierung, die erste Gesetze gegen Juden im 20. Jahrhundert erlassen hatte".

Hat er noch Hoffnung für Ungarn? "Die Hoffnung stirbt zuletzt", meint Schilling, "doch die linke politische Elite ist unfähig, die Macht zu übernehmen. Ich kenne viele intelligente, talentierte linke, junge Männer, aber sie ergreifen nicht die Chance, die Situation in Ungarn zu verändern. Die Linksliberalen und die Intelligenzija haben seit dem Beginn des Orbán-Regimes nichts unternommen, um sich zu erneuern. Die Sünden Orbáns werden von ihnen mitgetragen." (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 3.10.2014)