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Nach einem turbulenten Finish wählt Lettland am Samstag sein neues Parlement.

Foto: REUTERS/Ints Kalnins

Moskau/Riga - Wenige Tage vor der Parlamentswahl in Lettland liefert sich die Regierungspartei "Einheit" ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem oppositionellen "Harmonie-Zentrum". Die Konfliktlinie verläuft dabei nicht nur nach dem konventionellen Rechts-links-Schema, sondern auch entlang nationaler Befindlichkeiten.

Ginge es allein um die Frage, wer die wirtschaftlichen und sozialen Probleme Lettlands besser lösen könne - das Harmonie-Zentrum hätte einen klaren Vorsprung: Zu hart haben viele Letten den jahrelangen Sparkurs der konservativen Regierung empfunden, der das Land nach der internationalen Finanzkrise zwar vor einem Bankrott, nicht aber vor hoher Arbeitslosigkeit, einem starken Wachstumseinbruch und einer weit auseinanderklaffenden Einkommensschere zwischen Arm und Reich bewahrte.

Moskaureise mischte Karten neu

Skandale wie der durch Baupfusch verursachte Einsturz eines Supermarktes im November 2013, für den Premier Valdis Dombrowskis die politische Verantwortung übernahm und zurücktrat, haben zusätzlich am Image der Regierung genagt, handelte es sich dabei doch mit 54 Toten um die größte Katastrophe in der jüngsten Geschichte Lettlands.

Bis vor wenigen Wochen lag das ursprünglich die Interessen der russischen Minderheit im Land vertretene Harmonie-Zentrum dank seiner sozialdemokratischen Ausrichtung daher klar vorn. Doch eine heikle Auslandsreise von Parteichef Nils Usakovs nach Moskau hat die Karten neu gemischt. Usakovs, der erste russischsprachige Bürgermeister Rigas, hat seine Reise mit wirtschaftlichen Argumenten begründet. Es sei ihm gelungen, bei einem Treffen mit Russlands Vizepremier Arkadi Dworkowitsch Exporterleichterungen für Lebensmittel zu erwirken, die nicht unter das Embargo fielen, sagte er.

Putin "das beste, was es für uns geben kann"

Doch in Riga sorgte vor allem ein Interview Usakovs in Moskau für Aufregung. Der Politiker wurde mit der Aussage "Das Beste, was es für uns geben kann, ist Präsident Wladimir Putin" zitiert. Prompt wurde Usakovs vorgeworfen, mit dem Kreml anzubandeln.

Usakovs Aussage zielte darauf ab, vor einem radikaleren und stärker nationalistisch orientierten Nachfolger Putins zu warnen, sollte dieser aus dem Amt scheiden: "Es wird nicht Nawalny an die Macht kommen", sagte Usakovs mit Blick auf Umfragedaten und warnte vor der Renaissance von Kommunisten oder dem Populisten Wladimir Schirinowski, "die ihren Nachbarn keine Stabilität bringen".

Diese Warnung wurde in Riga als Verharmlosung der derzeitigen Kremlpolitik interpretiert und von den nationalistischen Parteien dankbar als Wahlkampfmunition aufgenommen. Angesichts der eigenen, immer noch als schmerzhaft empfundenen Erfahrung aus der Vergangenheit und dem derzeitigen Geschehen in der Ukraine sind viele lettischsprachige Wähler des Harmoniezenttrums wieder abgesprungen.

Spaltungstendenzen

Die Vorgänge in der Ukraine spalteten die lettische Bevölkerung, musste Usakovs einräumen. Gerade bei den ethnischen Letten ist die Angst vor einem ukrainischen Szenario im eigenen Land groß - zumal Putin mit der Aussage kolportiert wird, er könne nicht nur Kiew, sondern auch Riga und Warschau innerhalb von zwei Tagen einnehmen.

Wie groß die Phobie vor den Russen ist, demonstriert das am Donnerstag von der Saeima erlassene Gesetz, das die bisher gültige Regelung auf Eis legt, Immobilienkäufern eine Aufenthaltserlaubnis zu gewähren. Davon haben in der Vergangenheit viele reiche Russen profitiert.

Diese Angst hat auch den Vorsprung des Harmonie-Zentrums vor der Einheitspartei auf einen hauchdünnen Vorsprung schmelzen lassen. Aktuell würde die Mitte-rechts-Koalition in Lettland weiter regieren. Es bleibt aber spannend, da sich immerhin 44 Prozent der Wähler noch nicht für eine Partei entschieden haben. (André Ballin, DER STANDARD, 3.10.2014)