Geh her da, du Sauschädel: Bevor er zur Delikatesse werden kann, will der Sauschädel erst einma nach allen Regeln der Kunstl rasiert werden.

Foto: Jason Lowe, aus dem Buch
Foto: Verlag

Salat wird in Fergus Hendersons Kochbuch mittels Vinaigrette "gezüchtigt" , Austern lässt er den Gästen in einer Kartoffel-Lauch-Suppe "auflauern" , die Terrine aus Kutteln und Schweinefüßen erkennt er als "den Sommer, in Gelee gefangen". Oh ja, der Mann ist ein Poet des guten Essens. "Nose to Tail" ist ob der Eleganz seiner Prosa zumindest so wertvoll wie wegen der großartigen Rezepte. Dementsprechend erscheint dem Mann das Perlhuhn in Gesellschaft "zart schwabbelnden Fleisches" als "glücklicher Vogel". Auch dem Eiskasten gesteht er eine empfindsame Seele zu: "Kein Kühlschrank hat es verdient, sein Dasein ohne Trotter Gear (ein Henderson'sches Universalwürzmittel aus in Madeira geliertem Schweinefuß, Anm.) zu fristen".

Dieser liebevolle, inspirierte und humorvolle Blick auf die eigene Küche ist total ernst gemeint. Fergus Henderson mag gelernter Architekt sein, er mag die britische Küche mit seinem Restaurant St. John vor bald 20 Jahren im Alleingang wieder in den Fokus der geschmacksbegabten Weltöffentlichkeit gerückt haben, er mag seine Eichhörnchen-Ragouts, gerollten Schweinemilzen, gegrillten Därme und Aale "von vernünftiger Größe" einer Schar internationaler Stars von Madonna abwärts verabreichen, was diese nicht bloß wohlig schaudernd mit sich geschehen lassen, sondern auch noch köstlich finden.

Worum es Fergus Henderson aber wirklich geht, ist dieser "vernünftige" (dem Exzess aber gleichwohl nicht abgeneigte) Umgang mit dem Essen und dem Trinken - also jenen Dingen, die der Mensch so nah an sich heranlässt wie sonst gar nichts auf der Welt. Es ist dieser Respekt, der auch seine Restaurants prägt, sein Kochbuch, erst recht sein Selbstverständnis nicht als Küchen-, sondern als "Eating chef" und bester Gast seiner Restaurants, wie Übersetzer Christian Seiler im Vorwort ausführt.

Als Henderson 1994 das Restaurant St. John eröffnet, ist London zwar längst eine der kulinarischen Metropolen der Welt, dieser Ruhm begründet sich aber nur in der Vielfalt der Küchen anderer Länder, die hier in hoher Qualität zu finden sind. Britische Küche wird nur noch in ein paar verstaubten Etablissements gepflegt, als Henderson in einer alten Räucherei ein minimal eingerichtetes Wirtshaus samt - damals schon! - angeschlossener Bäckerei aufsperrt und das Verkochen des Schlachttiers von Kopf bis Fuß wieder zu einer Frage des Respekts vor sich selbst wie vor dem Tier erhebt.

Englisch gegrillte Tauben

In den boombefeuerten 1990er-Jahren , als es gerade in der Finanzmetropole London mehr Geld als je zuvor zu verbrennen gab, stellte Henderson gekochten Schinken mit Petersilsauce auf den Tisch, ganze Taschenkrebse nur mit Zange zum Zerlegen und einem Tiegel Mayonnaise oder wunderbar englisch gegrillte Tauben mit ganzen, rohen Frühlingszwiebeln und einem Püree aus Kichererbsen als Beilagen. Und gut war's!

Serviert wurde und wird das vorzugsweise auf großen Platten, in weiten Schüsseln, von denen sich die Gäste selbst nehmen, dazu simpelste runde Teller und dickwandige Pressgläser für den Wein - von dem es auf der kopierten Liste freilich nur exzellenten gibt. Diese Konzentration aufs Wesentliche, gepaart mit nonchalanter Unkekümmertheit im Umgang mit entsetzten Gourmetkritikern markiert jene Art von Scheißminix, den es für die Schaffung eines wegweisenden Konzepts wohl braucht.

Hendersons Restaurant ist seit Anbeginn auf der Liste der 50 besten Restaurants der Welt, es ist trotz der hemdsärmeligen Küche mit einem Michelin-Stern dekoriert und hat, vor allem, jenes gewisse Etwas, das nur die großen Restaurantklassiker zusammenbringen: Wer einmal dort essen durfte, der will in der Folge immer wieder hin. Sich in dieses Buch zu vertiefen hilft dagegen leider gar nichts - es verstärkt die Sehnsucht bloß. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 17.10.2014)