Ganz ohne Maus und Laptop, dafür mit Schablone und Pfeife brütet Alvar Aalto 1945 über seinen Entwürfen.

Alvar Aalto Estate / Alvar Aalto Museum / Eino Mäkinen

Das swingt: die wohl berühmteste Vase der Welt, "Savoy" von 1936, der Armlehnsessel von 1932 und die Hängeleuchte "Beehive" von 1953.

Vitra Design Museum - Andreas Jung, Alexander Vegesack, Jürgen Hans, VG Bild-Kunst

War es wirklich eine Pfütze, die Alvar Aalto zu seiner Vase "Savoy" inspirierte? Manche sagen es. Andere behaupten, die finnische Fjordlandschaft schwebte am Zeichentisch vor dem geistigen Auge des Meisters. Vielleicht war es auch der Name des Gestalters, der diesen verleitete, sich ein Denkmal zu setzen. Aalto bedeutet so viel wie Welle.

Was auch immer ihn den Bleistift schwingen ließ, die Vase, die anfangs schalkhaft "Lederhose der Eskimofrau" genannt wurde, schaffte es zum Wappen des weltbekannten nordischen Designs zu werden, so wie der finnische Designer und Architekt Alvar Aalto (1898-1976) zu dessen Galionsfigur aufstieg.

Doch die Welle ist nicht nur in Form von Aaltos Vase Objekt gewordenes Ornament. Kurven, Schwünge, Organisches und auch der Einfluss des Bauhauses wohnen den Objekten Aaltos inne, das gilt für seine Schemel ebenso wie für seine Kirchen oder ein Kongresshaus. Aaltos Entwürfe sind elegant und trotzdem verspielt. Seinen Stil zu beschreiben ist einfach und schwer zu gleichen Teilen.

Er steht für das Streben nach Langlebigkeit, Leichtigkeit, Wärme und Funktionalität und für die Suche nach einer zeitlosen Ästhetik. Wie man Letztere als Entwerfer aufs Blatt und dann ins Objekt bringt, bleibt - wie bei anderen Großmeistern - auch in Aaltos Fall ein Geheimnis. Sicher ist, dass seine Musen in Finnlands Wäldern wohnten und dem Entwerfer ebenso Inputs lieferten wie besagte Pfütze oder die zigtausend Seen Finnlands. In der Natur sah der erstgeborene Sohn eines Försters "Millionen flexibler Kombinationen und das beste Standardisierungskomitee der Welt". Wohl auch deshalb nennt sich die derzeit im Vitra Design Museum in Weil am Rhein stattfindende, umfassende Aalto-Retrospektive Second Nature.

Den Finnen riechen können

Aalto, genauer gesagt Hugo Alvar Henrik Aalto, war es auch, der 1935 mit seiner ersten Frau Aino und einigen Kollegen die bis heute weltberühmte Firma Artek gründete. Gerade bei Artek kann man den Einfluss Aaltos nach wie vor nicht nur sehen, sondern auch riechen. Comme des Garçons kreierte vor ein paar Jahren einen Duft namens "Standard", der an den Firmengründer erinnern soll, nach dem seit 2010 übrigens auch die Universität von Helsinki benannt ist.

Spricht man über Aaltos Werk, darf auch nicht vergessen werden, auf die stets vorhandene Verbindung zwischen Gebrauchsobjekt und Architektur hinzuweisen, denn Aalto betrachtete seine Möbel niemals als Einzelstücke. Sie gehören zu einer architektonischen Einheit, ob zu einem öffentlichen Gebäude, einem Herrschaftssitz oder einer Arbeiterwohnung. Über 400 Gebäudeentwürfe stammen vom Reißbrett Aaltos, darunter die Finlandia Hall in Helsinki und das Essener Opernhaus, das posthum realisiert und 1988 eröffnet wurde. Über Architektur sagte Aalto, was auch sein Design sehen und spüren lässt: "Es gibt nur zwei Dinge in der Architektur. Menschlichkeit oder keine."

Dies gilt für seinen swinging Freischwinger "Nr. 31" ebenso wie für seinen Teewagen "Nr. 98" oder den Hocker "Nr. 60" aus dem Jahre 1932. Dieses ikonenhafte, schlichte Ding mit den zart geschwungenen Beinen, die wie Knie aus der Sitzfläche wachsen, wurde über drei Millionen Mal verkauft. Umso verblüffender erscheint das große Werk Aaltos vor dem Hintergrund, dass Finnland bis 1917 zu Russland gehörte und weitgehend abgeschnitten von internationalen Strömungen vor sich hindümpelte.

Der Architekturkritiker Sigfried Giedion nannte Aalto den "Magus des Nordens". Aalto selbst, der sich sehr für Film, Fotografie und Theater interessierte, bezeichnete sich als "Chef d'orchestre", der alle Kunstformen zu einem harmonierenden, sinfonischen Ganzen verbinden wollte. Wie auch immer man ihn nennen will, diesen wichtigsten Vertreter der sogenannten "humanen" Moderne, seine Arbeit zeigt, dass er vor allem in einem recht hatte: "Nichts Altes wird neu geboren. Aber es verschwindet auch nicht ganz.

Und das, was einmal war, kommt immer wieder in neuer Form." Aalto zeigt bravourös, dass Architektur und Design nicht nur dazu da sind, uns zu umgeben, sondern mit uns zu leben. Im besten Falle, in Aaltos Falle, gehen wir mit den beiden eine Beziehung ein, aus der man nicht mehr herauswill. Das macht die Arbeit des Finnen auch nachhaltig und somit aktueller als die Entwürfe so mancher Zeitgenossen. (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 17.10.2014)