Mit gar so vielen hervorragenden Germanistinnen und Germanisten kann das heutige Österreich leider nicht aufwarten. Eine von ihnen ist aber ganz sicher Daniela Strigl. Dass sie in der Jury des Bachmannpreises saß, war eines der (wenigen) Argumente, die auch Bachmannpreis-Kritiker der Veranstaltung zugutehalten mussten. Wie kaum eine Zweite beherzigte sie die Analyse unseres Vorgängers: "Eine Sache kritisieren heißt nichts anderes, als ihre Entwicklungs- und Entstehungsgeschichte vollständig und lückenlos begreifen und darstellen. Kritik hat gar nichts 'Zersetzendes', denn sie löst ihr Objekt nur auf, um es dann um so lebendiger und einleuchtender vor den Augen des Betrachters wieder entstehen zu lassen ..."

Als Daniela Strigl vor vielen Jahren erstmals in die Jury berufen wurde, erzählte sie mir von ihren primären Erfahrungen und Eindrücken, zum Beispiel, dass der Veranstalter bei der Jurysitzung darauf Wert legte, dass sich die Juroren offiziell siezen. (Das Du-Wort, ein Symbol für Nähe, sei in dem Fall kontraproduktiv, weil es auch für Freunderlwirtschaft, Nebenabsprache, Gemauschel, also für die reale Praxis stehen könnte - und beim Gartenfest waren die Kritiker ja gleich wieder per Du.) Strigl meinte jedenfalls, ihr sei es leichtgefallen, sich an die Regel des Veranstalters zu halten, sie sei ja als Einzige auch inoffiziell mit allen anderen Juroren per Sie gewesen ...

Das Bekenntnis hat mich gleich für Daniela Strigl eingenommen, ebenso wie die Beobachtung, im ORF-Theater stünden im Publikumsbereich ab der fünften oder sechsten Reihe keine Sessel, sondern Bierbänke. Jedenfalls damals war das so. Eine hervorragende Metapher!

Jetzt ist die integerste, seriöseste und kompetenteste Jurorin aus der Jury auf die Bierbänke gemobbt, aber letztlich mobben sich die sogenannten Tage der Literatur damit selbst endgültig ins Abseits. Natürlich werden sich trotzdem auch nächstes Jahr wieder auffrisierte Hochglanzoffizielle bei der Eröffnung ans Podium stellen und ungeniert die große Lebenslüge der Veranstaltung nachplappern: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar! Also, raus mit der Wahrheit, Offizielle! Wegschweigen gilt nicht! Aber die wahre Wahrheit bitte, also die inoffizielle! (Egyd Gstättner, DER STANDARD, 21.10.2014)