95 Prozent Kaschmir, fünf Prozent Vicuña-Wolle stecken in diesem Zweireiher von Kiton. Vicuña zählt zu den teuersten Naturfasern der Welt und stammt von einer Lama-Art.

Foto: Kiton
Foto: Kiton

Antonio de Matteis kommt im dunklen Anzug zum Interview in den vor kurzem eröffneten Flagshipstore im Wiener Goldenen Quartier. Das nigelnagelneue Sofa, auf dem er Platz nimmt, ist olivgrün. De Matteis ist Chef von Kiton, einem Luxusherrenausstatter aus Neapel, der auf maßgeschneiderte Anzüge spezialisiert ist. 20.000 Anzüge pro Jahr nähen die 350 Schneider des Familienunternehmens, das auch Hemden, Krawatten, Schuhe und Damenmode im Programm hat. Während des Gesprächs mustert er streng sein krawattenloses Gegenüber.

STANDARD: Wie ist das jetzt mit der leidigen Knopffrage in Sachen Anzug? Welcher gehört denn nun zugemacht?

De Matteis: Jener, der über dem Magen bzw. dem Bauch liegt. Manche schließen den Knopf zu weit oben. Es ist nicht gut, wenn der Bauch darunter hervorsteht.

STANDARD: Ein Dresscode?

De Matteis: Von so etwas halte ich nichts.

STANDARD: Wie denken Sie über weiße Socken?

De Matteis: Geht gar nicht. Ebenso wie zu kurze Socken.

STANDARD: Also doch ein Dresscode. Wann darf man auf eine Krawatte verzichten?

De Matteis: Niemals. Das ist furchtbar. Geht auch nicht. Ich reise zum Teil mit 50 Krawatten.

STANDARD: Es gibt Menschen, die finden Krawatten furchtbar konservativ.

De Matteis: Was soll an einer gelben Krawatte konservativ sein? Es gibt doch unzählige Modelle.

STANDARD: Warum haben Sie sich heute für eine dunkelblaue mit weißen Punkten entschieden?

De Matteis: Nun, sie passt irgendwie zum grauen Wetter.

STANDARD: Es gibt Berufsgruppen, in denen der Anzug zwangsweise zu einer Art Arbeitsgewand wird. Ab welchem Punkt wird ein Anzug zur Uniform?

De Matteis: Leider gibt es viele Anzüge, die wie Uniformen daherkommen. Das hat viel mit einem Gefühl, mit der Beziehung zwischen dem Anzug und seinem Träger zu tun. Es ist ganz einfach: Wenn jemand einen Anzug nicht gerne trägt, dann wird dieser zur Uniform.

STANDARD: Das müsste der Kunde ja beim Kauf schon merken. Welche Fehler werden diesbezüglich am häufigsten gemacht?

De Matteis: Es geht nicht um Fehler. Es geht um die Passion für ein Stück, um Qualität und um Freude. Es geht um die Reaktion eines Mannes, wenn er in den Anzug schlüpft. Wenn er sich darin bewegt, den Stoff berührt, den Anzug spürt, dann ist er ein Kunde für uns. Steht er steif wie ein Wachsoldat vor dem Spiegel, dann nicht.

STANDARD: Das Gefühl, von dem Sie sprechen, hat seinen Preis. Sie haben, natürlich neben günstigeren Varianten, einen Anzug um 35.000 Euro im Programm. Das ist viel Geld.

De Matteis: Nein.

STANDARD: Meinen Sie das ernst?

De Matteis: Was soll ich darauf sagen? Wenn es Uhren um 300.000 Euro und Autos um Millionen gibt, warum denn nicht auch Anzüge um so viel Geld. Er ist es wert.

STANDARD: Warum?

De Matteis: Wissen Sie, wie lang ein Schneider an einem unserer Anzüge sitzt? Da kommt keine Nähmaschine zum Einsatz. Bei uns in der Fabrik hören Sie nur das Geräusch von Scheren. Das klingt wunderbar. Außerdem ist das Modell, von dem Sie sprechen, aus Vicuña-Wolle, das ist die Wolle des geschützten Hochlandlamas Vicuña, das ehemals vom Aussterben bedroht war. Derzeit existieren circa 10.000 Tiere und jedes gibt im Jahr lediglich 300 Gramm Wolle. Aber ich erzähle Ihnen eine andere Geschichte: Als wir zu Beginn der Wirtschaftskrise unser Geschäft in der Fifth Avenue in New York aufsperrten, schrieb ein Journalist der Financial Times: "Ich verstehe nicht, wie man in Zeiten wie diesen Anzüge um zehntausende Dollar verkaufen kann."

STANDARD: So ganz verständlich ist es mir auch noch nicht.

De Matteis: Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Ich habe den Journalisten angerufen und zu uns nach Neapel eingeladen. Wissen Sie, was er nach dem Besuch geschrieben hat? "Jetzt verstehe ich es." Sie müssen also offensichtlich auch nach Neapel kommen.

STANDARD: Ich habe ein Foto von Ihnen gesehen, da trugen Sie eine ganze Menge dieser bunten Freundschaftsbänder aus Stoff. Ich sehe sie nicht mehr. Wohin sind sie verschwunden?

De Matteis: Das geht nur im Sommer, sie passen zur warmen Jahreszeit.

STANDARD: Hat Ihre Ehefrau Einfluss auf Ihren Kleidungsstil?

De Matteis: Überhaupt nicht. Ich würde mir auch nie ein Kleidungsstück von ihr schenken lassen. No way. Dafür beschenke ich sie.

STANDARD: Wie viele Anzüge sollte ein Mann im Schrank haben?

De Matteis: Diesbezüglich gibt es für mich keine Zahl. Er sollte besitzen, was er mag, natürlich etwas in Schwarz, Grau und Dunkelblau, das Ganze natürlich für die warme und die kalte Jahreszeit. Ich sage Ihnen etwas: Im traditionellen Neapel wechselt man den Anzug dreimal am Tag.

STANDARD: Apropos: Sind italienische Männer besser gekleidet als andere?

De Matteis: Nein, das würde ich so nicht sagen, ich sehe Eleganz auf der ganzen Welt. Vielleicht haben wir etwas mehr Tradition auf diesem Gebiet. (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 24.10.2014)