Herbert Matis, Juliane Mikoletzky, Wolfgang Reiter (Hg.)
Wirtschaft, Technik und das Militär 1914–1918

Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg
LIT-Verlag, 376 Seiten, 39,90 Euro

Cover LIT Verlag

Wien - 100 Jahre und knapp drei Monate ist es her, dass der Erste Weltkrieg begann, die erste große Katastrophe des 20. Jahrhunderts mit über 17 Millionen Toten. Wurde der runde Jahrestag des Kriegsbeginns erst vor kurzem begangen, so scheint das publizistische Feuerwerk zum Ersten Weltkrieg, das schon lange vorher dem Gedenkjahr gezündet wurde, wieder verpufft. Doch es gibt immer noch Neuerscheinungen – und auch solche, die tatsächlich Neues über den Krieg bieten.

Ein gelungenes Beispiel dafür ist das Buch "Wirtschaft, Technik und das Militär 1914–1918. Österreich-Ungarn im Ersten Weltkrieg", das am Dienstagabend im vollbesetzten Boeckl-Saal der Technischen Universität Wien präsentiert wurde. Denn der von Herbert Matis, Juliane Mikoletzky und Wolfgang Reiter herausgegebene Sammelband enthält wichtige Ergänzungen zu den schon im Vorjahr erschienenen Übersichtswerken, in denen der so wichtige wissenschaftlich-militärisch-industrielle Komplex meist zu einer Randnotiz verkommt.

Neue Wechselbeziehungen

Tatsächlich war der Erste Weltkrieg war nicht nur Katalysator für viele kriegsspezifische Innovationen, die von der Erfindung der Tablette (als neue Verabreichungsform von Wirkstoffen) bis zur U-Boot-Ortung per Schall reichen. Auch das Zusammenwirken von universitären Einrichtungen, Militär und Industrie sei im Ersten Weltkrieg erst erfunden worden, sagt der Physiker und Wissenschaftshistoriker Wolfgang Reiter, einer der Herausgeber des Sammelbands und 2013 Mitveranstalter jenes Symposions der Ignaz-Lieben-Gesellschaft, auf das die Neuerscheinung zurückgeht.

Dieses Dreieck von Militär, Wirtschaft und Technowissenschaften erhellen die 14 versammelten Aufsätze aus unterschiedlichen Perspektiven – und für einen Raum, der etwas weiter reicht als das heutige Österreich: Auch wichtige Entwicklungen in den ehemaligen Kronländern werden in einigen der Texte beleuchtet. Eine Schlüsselstellung in diesem Dreiecksverhältnis nahm das k. u. k. technische Militärkomitee ein, wie Werner Soukup in seinem Aufsatz zeigt. Er stieß für seine Recherchen im Staatsarchiv auf umfangreiche Aktenbestände des Militärkomitees, die nach wie vor kaum bearbeitet sind.

Meteorologie für den Gaskrieg

Dennoch lässt sich auch jetzt schon einiges etwa über die Entwicklung der Kampfmittelforschung sagen: so etwa, dass die Bestrebungen der militärischen Führung der Armee, Gas als Waffe zu erforschen, bis 1912 zurückreichen – also lange vor den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Aber nicht nur die Chemie wurde militärisch wichtig: Mit der wachsenden Bedeutung von Giftgas gewann etwa auch die Meteorologie an Bedeutung und trug das ihre zur Kriegsführung bei, belegt Christa Hammerl in ihrem Beitrag.

Insgesamt dürfte die Monarchie in den kriegsspezifischen Wissens- und Forschungsleistungen hinter Verbündeten und Gegnern zurückgeblieben sein, vermutet Reiter, beispielsweise bei der Flugzeugproduktion. Statt in eigene Forschung zu investieren, kaufte man hauptsächlich beim Deutschen Reich ein – obwohl die Luftfahrtforschungen in Österreich-Ungarn vor Kriegsbeginn preisgekrönt waren.

Die Bedeutung der Industrie

Ein Grund dafür war, wie Herbert Matis bei der Buchpräsentation ausführte, dass man in Österreich ständige technische Verbesserungen an den Fliegern vornahm – und damit nie zur industriellen Massenproduktion kam. In seinem Grundsatztext am Anfang des Bandes identifiziert der Wirtschaftshistoriker Wirtschaft, Technik und Rüstung als die kriegsentscheidenden Faktoren des Ersten Weltkriegs und zeigt, warum dieser auch der erste industrielle Krieg war und auch deshalb zur "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" werden konnte.

Ein kleines Manko des Sammelbandes ist, dass es die Wissenschaft als Schlagwort – zugunsten von Technik und Wirtschaft – nicht in den Titel des Bandes geschafft hat. Etliche lesenswerte Texte und zum Teil auch kleine Pilotstudien zur Rolle von Forschung, Technik, Industrie und Militär in Österreich-Ungarn während des Ersten Weltkriegs liefert er aber allemal. (tasch, derStandard.at, 22.10.2014)