In "Hatred" wird der Spieler zum Antagonisten. Ein seltener Rollentausch, der die Durchkreuzung moralischer Wertvorstellungen abverlangt und ein Medientabu bricht.

Foto: Hatred

"Killerspiel" schreiende Politiker mögen es aus ihrer Realität ausblenden, doch selbst brutalst erscheinende Games unterliegen moralischen Wertvorstellungen. In einem "Call of Duty" kämpft man gegen intrigante Machthaber, in "Halo" gegen die Alien-Invasion und selbst das Gangster-Zweitleben "Grand Theft Auto" verstrickt Gesellschaftssatire mit grundlegenden Werten. So ist man auch als Böser irgendwo ein Guter und die vermeintlich guten Gesetzeshüter irgendwo böse. Und fällt den Autoren keine komplexere Story ein, sind die Widersacher eben Zombies.

Der Grund dafür: Videospiele werden produziert, um sich zu verkaufen und ihre größte Zielgruppe sind nun einmal keine soziopathischen Schwerverbrecher, sondern ganz normale Menschen, denen Moral und Ethik so wichtig sind, wie jedem anderen Mitglied einer zivilisierten Gesellschaft. Vielleicht erklärt sich damit, weshalb dieser Tage die Ankündigung von "Hatred" (Hass) für so viel Wirbel in der Branche sorgte.

Das Spiel des polnischen Studios Destructive Creations versetzt in die Rolle eines Amokläufers, der es auf wehrlose Zivilisten abgesehen hat. Keine Aliens, keine Zombies, sondern unschuldige Menschen geraten ins Visier des Spielers. Mit ungeschönten Tötungsanimationen aus der isometrischen Perspektive erinnert das virtuelle Abschlachten frappant an Kameraaufnahmen von realen Amokläufen wie an der Columbine Highschool 1999 und überschreitet so Grenzen spielerischer Ausdrucksform. Auf Unschuldige loszugehen, das gilt auch in diesem stürmenden und drängenden Jungmedium noch als Tabu.

Anarchie

Für seine Schöpfer ist es als Zeichen gegen gesellschaftliche Konventionen zu verstehen. "Wir richten uns gegen politische Korrektheit", sagt Geschäftsführer Entwickler Jaroslaw Zielinski in einem Interview dem GameStandard. "Wir sind gegen eine Gesellschaft, die uns sagt, was wir denken und tun sollen und, welche Spiele wir kreieren dürfen."

Bereits wenige Tage nach der Erstvorstellung des Projekts, das frühestens im April oder Juni 2015 auf den Markt kommen soll, kamen Berichte auf, die einige Entwickler von "Hatred" mit nationalistischen und faschistischen Gruppierungen in Zusammenhang brachten. "Es ist ein Spiel, das brutalen Rassismus und weiße Überlegenheit glorifiziert", schrieb der Blog Fuck No Video Games, der sich mit Videospielkultur auseinandersetzt. Der Report ging soweit, das Spiel einen "Genozid-Simulator von Neonazis" zu nennen.

Ein Vorwurf, den das Team von Destructive Creations daraufhin in einer öffentlichen Stellungnahme aufs Schärfste zurückwies und sich als klare Gegner totalitärer Systeme aussprach. "Nazi-Deutschland ist verantwortlich für den Tod von sechs Millionen Menschen in Polen. Die Hälfte davon waren Juden. Meine Familie hatte während des Zweiten Weltkriegs viele Verluste zu beklagen", schreibt etwa Marcin Kazmierczak, FX-Artist beim Studio. "Jeder, der mich beschuldigt, dieser besagten Ideologie zu folgen, sollte wirklich zweimal darüber nachdenken."

CEO Zielinski fügt hinzu, dass auch ihr Debütwerk keiner Ideologie folge. "Der Hauptcharakter ist nihilistisch, jegliche politische Verstrickung wäre dem Spiel nicht zuträglich. Der Antagonist tötet jeden gleich. Herkunft spielt keine Rolle, das Geschlecht ebenso nicht (beides wird per Zufall generiert), man kann es also das toleranteste Spiel nennen, das Gleichheit bewirgt. Hier stirbt jeder."

Schockierende Vorbilder

Wenn man nach Vorbildern für das Mörder-Game sucht, findet man bei Filmemachern wie Quentin Tarantino und Oliver Stone Antworten. "Wir haben das Spiel aus den selben Gründen kreiert, die zur Verfilmung von 'Natural Born Killers' (1994) führten. Um zu schocken und zu unterhalten. Und vielleicht, um zum Denken anzuregen", sagt Zielinski.

Der erste Versuch, Spieler vor die Stirn zu stoßen, ist es keineswegs, wenngleich der bislang wohl kontroverseste. In "Manhunt" (2003) hetzten die Schöpfer von Rockstar Games in einer tiefschwarzen Parodie auf die damals aufkommende Reality-TV-Ära vor laufender Kamera Schwerverbrecher aufeinander. Aufgrund der expliziten Hinrichtungsanimationen wurde das Spiel als "gewaltverherrlichend" beschlagnahmt und verboten, was Medienberichten zufolge schlussendlich nur für eine gesteigerte Nachfrage sorgte.

Die Serie "Postal" (1997, 2003) machte Spieler ebenfalls zu Amokläufern, sorgte aufgrund seines offensichtlich satirischen Charakters allerdings für weniger Aufsehen, als vielleicht erwartet. Die Schöpfer mokieren sich damit über den "American way of life" - unter anderem über den leichten Zugang zu Waffen.

Für deutlich mehr Schlagzeilen sorgte die Mission "No Russian" in dem Kriegsspiel "Call of Duty: Modern Warfare 2" (2009), in dem Spieler Teil eines Terroranschlages auf einem fiktiven russischen Flughafen wird und die Möglichkeit hat, sich aktiv an der Ermordung von Zivilisten zu beteiligen. Hersteller Activision rechtfertigte die Szene mit dem Kontext des Spiels. "Die Szene zeigt den Grad der Bosheit und Kaltblütigkeit eines russischen Bösewichts und seiner Einheit. Indem wir dies zeigen, erhöhen wir den Druck auf den Spieler, ihn in den anderen Missionen zu stoppen", so die Entwickler. Zudem wurde die Option geboten, die Mission zu überspringen.

Kritik oder Heroisierung?

Dass man mit dem Spiel Opfer von Amokläufen beleidigt, glaubt Zielinski angesichts vorangegangener "aufgebauschter Videospielskandale" jedenfalls nicht. "Sie sollten sich dadurch nicht angegriffen fühlen. Sehen Sie es so: Krieg ist auch für Soldaten eine schreckliche Erfahrung. Aber fühlen die sich durch die 'Battlefield'-Serie angegriffen? Ich bezweifle es."

Ob "Hatred" eines Tages auch als geniale Medienkritik interpretiert wird, muss die Geschichte zeigen. Unterdessen wird es wohl vor allem für alle Videospielkritker ein gefundenes Fressen sein. Nicht zuletzt deshalb, weil es als Spiel Konsumenten, im Gegensatz zu vergleichbaren Filmen, zu Akteuren, virtuellen Tätern macht. Für Jugendliche und Erwachsene am Rande der Gesellschaft, die selbst destruktive Gedanken gegenüber Mitmenschen hegen, könnte ein übermächtiger Killer nicht abschreckend, sondern heroisierend wirken, so die Sorge.

"Das Problem mit gestörten Seelen ist, dass sie praktisch alles dazu inspirieren kann, schreckliche Dinge zu tun. Ist es nicht ein Spiel, ist es ein Film oder eine Ex-Freundin oder eine Drogensucht", meint der Entwickler. "Soziale Gewalt existierte bereits viel früher als Videospiele. Aber Games sind leicht zu beschuldigen, sie schreien nicht zurück." (Zsolt Wilhelm, derStandard.at, 23.10.2014)