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Dass sich der moderne Mensch (links) mit dem Neandertaler (rechts) paarte, steht längst außer Zweifel. Die Frage ist nur, wann.

Foto: AP/Frank Franklin

Leipzig/Wien - Im Jahr 2008 entdeckten Wissenschafter am Ufer des Flusses Irtysch im westsibirischen Ust'-Ishim den relativ gut erhaltenen linken Oberschenkelknochen eines Mannes. Mittels Radiokarbonmethode ließ sich das Alter des Fundes auf etwa 45.000 Jahre datierten. Form und Beschaffenheit ließen wiederum darauf schließen, dass es sich bei dem Knochen um die Überreste eines frühen modernen Menschen handelt.

Er müsste demnach also mit den Populationen verwandt gewesen sein, die die direkten Vorfahren der heutigen Menschen sind. Und er wäre einer der ältesten modernen Menschen, die bisher außerhalb des Mittleren Ostens und Afrikas gefunden wurden. Ein internationales Forscherteam um Svante Pääbo vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat nun das Genom des "Ust'-Ishim-Mannes" sequenziert und mit dem Erbgut von später in Europa und Asien lebenden Menschen verglichen.

Gen-Spuren der Neandertaler

Ihre im Fachblatt "Nature" veröffentlichten Ergebnisse zeigen nicht nur, dass der "Ust'-Ishim-Mann" zu einer Zeit lebte, als sich die Vorfahren der heutigen Europäer und Asiaten gerade getrennt voneinander zu entwickeln begannen. Wie die Forscher schreiben, fanden sich in seinem Erbgut auch Spuren der Neandertaler-DNA, die wiederum den Zeitraum der Vermischung von modernen Menschen und Neandertalern genauer eingrenzen lassen - zumindest für diese Population: auf vor etwa 50.000 bis 60.000 Jahre. Bisher datierten viele Forscher diese Vermischung etwa 37.000 bis 86.000 Jahre zurück.

Dass der sexuelle Kontakt der beiden Menschenarten überhaupt als gesichert gelten kann, ist früheren bahnbrechenden Arbeiten von Pääbo und Kollegen zu verdanken: Ihre Entschlüsselung der Neandertaler-DNA führte zur Erkenntnis, dass sich Spuren davon im Erbgut aller heute lebender Menschen befinden - mit Ausnahme jener aus Afrika.

Mit rund zwei Prozent ist der Neandertaler-Anteil beim "Ust'-Ishim-Mann" sogar ähnlich hoch wie bei heutigen Ostasiaten und Europäern. Die betreffenden Gensegmente sind bei dem frühen modernen Menschen allerdings viel länger. "Da die Segmente über wenige Generationen noch nicht so stark verkürzt wurden, konnten wir abschätzen, dass sich die Vorfahren dieses Mannes etwa 7000 bis 13.000 Jahre vor seiner Geburt mit Neandertalern vermischt hatten", sagt Janet Kelso, Koautorin der Studie.

Gelöst ist das Rätsel damit noch nicht. Doch dass nun neben den Genomen von Neandertalern und Denisova-Menschen auch das Erbgut eines sehr frühen modernen Menschen vorliegt, ist ein großer Schritt. (dare, DER STANDARD, 23.10.2014)