Aufbruch ins Ungewisse: Eine frisch geschlüpfte Unechte Karettschildkröte schwimmt los.

Foto: Victor A. Stiebens/GEOMAR

Kiel - Unechte Karettschildkröten beginnen ihr Leben ziemlich stressig: Um nach dem Ausschlüpfen schnellstmöglich die Küstengebiete zu verlassen, in denen sie leicht verschiedenen Räubern zum Opfer fallen können, sprinten ins Meer und erreichen im Idealfall günstige Ozeanströmungen. Und verschwinden für Jahre, ehe sie erstmals wieder in küstennahen Gewässern auftauchen. Über die Zeit dazwischen ist nach wie vor relativ wenig bekannt.

"Forscher nennen ihre frühe Lebensphase 'verlorene Jahre', weil man die frisch geschlüpften Schildkröten bisher nicht sehr weit verfolgen konnte", erklärt die Meeresbiologin Rebecca Scott vom Forschungsverbund "Ozean der Zukunft". Gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam konnte Scott nun Licht in die unbekannten Jugendjahre bringen: Mithilfe kleiner akustischer Sender konnten sie die Wanderungen der Tiere mitverfolgen und große Wissenslücken schließen. Ihre Ergebnisse stellten sie aktuell im Fachblatt "Proceedings of the Royal Society B" vor.

Rekord-Schwimmer

Die Forscher sammelten an zwei Stränden der kapverdischen Insel Boa Vista frisch geschlüpfte Schildkröten. Dann klebten sie Stromlinienförmige, etwa 0,4 Gramm schwere Mini-Sender vorübergehend auf den Bauchpanzer der Tiere. Von einem Boot aus verfolgten die Forscher die Signale für bis zu acht Stunden und eine Strecke von 15 Kilometern. Zusätzlich beobachteten sie in Testbecken mehrere Tage lang das Schwimmverhalten von 16 Schildkröten: Direkt nach dem Schlüpfen schwammen die Neugeborenen 24 Stunden lang ununterbrochen, ehe sie in einen Rhythmus mit Ruhephasen während der Nacht wechselten.

Weil die ablandigen Strömungen in großer Nähe zur Insel verlaufen, scheinen die Schildkröten von Boa Vista eine längere Nachtruhe einlegen zu können als Jungtiere, die anderenorts zur Welt kommen. "Verschiedene Forschergruppen haben etwa aus den USA berichtet, dass der Weg zu Strömungen viel weiter ist und die Schwimmzeiten daher viel länger sind", so Scott. Die Tiere sind also sehr stark von lokalen Gegebenheiten abhängig, die offenbar die evolutionäre Entwicklung ihres Schwimmverhaltens beeinflussen, wie die Meeresbiologin erklärt: "Es scheint, als ob die Schildkröten von Boa Vista mit ortsspezifischen Fähigkeiten zur Welt kommen." (red, derStandard.at, 23.10.2014)