Hannes (Florian David Fitz) ist unheilbar krank und beschließt zu sterben.

Foto: Wolfgang Ennenbach/Filmladen Filmverleih

"Bei dieser Krankheit gibt's nur eine Richtung - und zwar immer tiefer in die Scheiße." Hannes (Florian David Fitz) leidet im Film "Hin und weg" an amyotropher Lateralsklerose (ALS), jener Nervenkrankheit, die vor einem halben Jahr dank "Ice Bucket Challenge" und zugehöriger Spendenkampagne kurz in aller Munde war. Was es aber wirklich bedeutet, daran zu leiden, weiß kaum jemand.

Nicht heilbar

ALS ist eine degenerative Erkrankung des Nervensystems, bei der es zu einer irreversiblen Schädigung der Nervenzellen und zunehmender Muskelschwäche (Parese) und Muskelschwund (Amyotrophie) kommt. Das Krankheitsbild variiert stark, fast allen Fällen gemein sind aber spastische Lähmungen der Muskulatur, anfangs vor allem von Armen und Beinen.

Im weiteren Verlauf kann es zu Sprech- und Schluckstörungen, Gangstörungen und einem Schwund der Gesichtsmuskulatur kommen. Sinneswahrnehmung und Denkvermögen bleiben meist aber vollkommen intakt. ALS ist nicht heilbar und kann lediglich symptomatisch behandelt werden. Die durchschnittliche Überlebenszeit nach dem Ausbruch beträgt etwa drei bis fünf Jahre.

Weiterkämpfen oder sterben

Wenn der Mittdreißiger Hannes von ALS redet, weiß er, wovon er spricht. Seit dem Ausbruch ist schon ein halbes Jahr vergangen, er verliert von Tag zu Tag an Kraft, wie er beim Radfahren merkt, wo er jeden Tag ein paar hundert Meter weniger schafft.

Anders als sein Vater, der quälend langsam an der unheilbaren Nervenkrankheit zugrunde ging, entschließt sich Hannes bei vollem Verstand zu einem anderen Weg. Er bestimmt, dass die alljährliche Radtour mit Freunden diesmal nach Belgien führen soll, weil er sich entschieden hat, dort Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Die Freunde freilich wissen noch nichts davon und reagieren verstört, als sie es am Tag der Abfahrt beim Abendessen erfahren.

"Du hast aufgegeben, bevor es überhaupt losgegangen ist", sagt der Bruder (Volker Bruch). "Ich kann nur bis zu diesem Tag denken, danach ist alles schwarz", seine Lebensgefährtin (Julia Koschitz), die schon länger von seinem Entschluss weiß. "Ja was soll ich denn tun? Zu Hause sitzen und warten? Ich weiß ja wo es endet", spricht eine Mischung aus Resignation und Bestimmtheit aus Hannes. "Ich will einfach ein letztes Mal mit meinen Freunden abhängen und nicht die ganze Zeit an diese Scheißkrankheit denken".

Große Ambivalenz

Trotz heftiger Emotionen und Unverständnis beschließen die Freunde, die Radtour fortzuführen. Wohl in der Hoffnung, Hannes noch von seiner Entscheidung abbringen zu können - ob das gelingt, bleibt bis zum Schluss offen. Den Weg dorthin, auf dem die Freunde es "noch einmal so richtig krachen lassen" wollen, verfolgt man mit höchster Ambivalenz: Man fühlt mit Hannes, versteht seine Beweggründe, aber auch die Einwände seiner Kumpel - allen voran die seiner Freundin Kiki, die ihm nicht zu unrecht Egoismus vorwirft, weil er sie allein zurücklassen will.

Der schweren Thematik zum Trotz ist "Hin und weg" ein leichtfüßiges Roadmovie, das den Spagat zwischen (mitunter derbem) Humor und aller angebrachten Schwermut souverän meistert. Das liegt vor allem an der Besetzung, die in schlagfertigen Dialogen, aber vor allem in den stillen Momenten der Verzweiflung am stärksten aufspielt.

Krankheit omnipräsent

Florian David Fitz, der bereits in "Vincent will Meer" einen Tourette-Patienten verkörpert hat, spielt sich nie in den Mittelpunkt, sondern hält sich angenehm im Hintergrund - obwohl Hannes' Krankheit natürlich omnipräsent ist. Dadurch, dass die konkreten Auswirkungen der ALS kaum gezeigt werden, wirkt sie umso unberechenbarer und bedrohlicher. Seine Figur Hannes hat seinen Wunsch zu sterben schon längst mit sich selbst ausverhandelt - die Reaktionen seiner nächsten Mitmenschen sind aber umso heftiger und bringen ihn dann doch ins Zweifeln.

"Hin und weg" schafft das schwer Mögliche und bleibt über weite Strecken höchst glaubwürdig, ohne sich definitiv zwischen Komödie und Drama zu entscheiden. Erst ganz am Schluss wird es pathetisch, und man würde sich ein etwas früheres Ende wünschen. Nichtsdestotrotz ist es der beste Beitrag zum Thema "selbstbestimmtes Sterben" seit langem. (Florian Bayer, derStandard.at, 24.10.2014)