Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Polizist steht auf dem Platz des Himmlischen Friedens Wache. Die Nachfolger Maos berieten tagelang den künftigen Kurs Chinas.

Foto: AP Photo/Andy Wong

Die Kommunistische Partei Chinas hat sich erstmals auf Leitlinien und konkrete Maßnahmen zum Ausbau der Volksrepublik als sozialistischen Rechtsstaat geeinigt. Regierungs-, Herrschaftssystem und Parlament sollen dabei unverändert unter Führung der alleinherrschenden Partei stehen, deren Rolle nicht geschwächt werden darf. Zugleich jedoch will die Parteiführung auch starke Rechtsreformen unterstützen, die den Gerichten, Richtern und Staatsanwälten des Landes die Unabhängigkeit ihrer Rechtsprechung garantieren.

Um das zu erreichen, soll ein Schutzsystem für die Justiz aufgebaut werden. Es soll "alle Einmischungen führender Kader in Rechtshandlungen und in die Abwicklung konkreter Fälle erfassen, öffentlich machen und diese dafür zur Verantwortung ziehen."

Sonderparteitag

Das ist eine der Kernaussagen im langatmigen Abschlusskommuniqué des Vierten ZK-Plenums der Kommunistischen Partei. Es wurde am Donnerstagabend mehr als 20 Minuten lang im Staatsfernsehen CCTV verlesen. Der Sonderparteitag vom 20. bis 23. Oktober stand erstmals in der mehr als 60-jährigen Geschichte der Partei unter dem alleinigen Tagesordnungspunkt zur Durchsetzung "rechtstaatlichen Regierens".

Die Entwicklung dazu müsse zu einem Rechtssystem des "besonderen chinesischen Sozialismus" führen. "Wir wollen ein Kontingent an sozialistischen Rechtsarbeitern heranziehen, die Partei, Staat, Volk und dem Recht loyal verbunden sind," sagte Parteichef Xi Jinping vor Delegierten.

Langwierige Abrechnung

Der von der Öffentlichkeit erwartete Parteiausschluss des ehemaligen höchstrangigen Polizei- und Justizzaren Zhou Yongkang wurde nicht bekannt gegeben. Bis 2012 war der massiver Korruption und Machtmissbrauch beschuldigte Zhou noch einer der neun mächtigsten Männer Chinas im Ständigen Ausschuss des Politbüros. Die Abrechnung mit ihm und die Enthüllung des spektakulären Machtkampfes in der Parteiführung könnte nun aber am kommenden Samstag erfolgen, wenn die allmächtige ZK-Kommission zur Disziplinkontrolle ihre eigene Plenarsitzung abhält. Zhou sitzt nicht mehr im Ende 2012 neugewählten Zentralkomitee.

Am Donnerstag entschieden aber 199 abstimmungsberechtigte Vollmitglieder und 164 Kandidaten sowie Sondergäste über den Parteiausschluss von sechs aktuellen ZK-Mitgliedern. Unter ihnen waren auch mehrere, die einst zu Zhous engsten Gefolgsleuten gehörten. Alle sechs flogen aus der Partei, angeklagt mutmaßlicher schwerster Korruption.

Das Kommuniqué deutet eine Vielzahl neuer, rechtsfördernder Maßnahmen an, wie die Einrichtung mobiler Gerichte, mit denen Richter des Obersten Gerichts bei Problemfällen provinzübergreifend für mehr Gerechtigkeit sorgen können sollen. Um Fehlurteilen vorzubeugen, soll die lebenslange Verantwortlichkeit der Richter für ihre Urteile eingeführt werden. Besonders betont wird, dass die Herstellung von "Öffentlichkeit ein Normalzustand werden und die Nichtöffentlichkeit die Ausnahme von der Regel sein muss." Ausdrücklich steht die Forderung im Kommuniqué, dass der "juristische Schutz der Menschenrechte verstärkt werden muss."

Kontrolle der Verfassung

Die Partei will auch "ein System zur Umsetzung und Kontrolle der chinesischen Verfassung" errichten, ihre Überwachung durch den Volkskongress vervollständigen und "einen Mechanismus zur Erklärung der Verfassung" einführen. Ob damit die Einrichtung einer eigenständigen Verfassungskommission gemeint ist, geht aus dem Text nicht hervor. Die konkreten Beschlüsse des Plenums werden erst in den kommenden Tagen veröffentlicht.

Im Vorfeld des Plenums hatten Parteizeitungen die geplanten Reformen und mehr juristische Unabhängigkeit mit der Notwendigkeit einer besseren Absicherung für die Entwicklung von Chinas Marktwirtschaft begründet. Sie dürften aber weder zur Gewaltenteilung noch zu einer Schwächung der Partei führen.

Die amtliche Agentur Xinhua nannte einige der Beweggründe für die geplante Modernisierung des Rechtssystems. Chinas Gesellschaft sei in einem "schmerzhaften Übergang der Wirtschaft, die unter steigendem Abwärtsdruck steht." Die Förderung der Herrschaft des Rechts wecke nun Hoffnungen auf eine "geordnete und effektive Marktentwicklung". Fast alle derzeitigen Probleme und Risiken von "Überkapazitäten, Immobilienblasen, lokaler Verschuldung, Schattenbanken, Wachstumsbeschränkungen des nichtstaatlichen Sektors und ungenügende Innovation können ihre Wurzeln in übertriebener administrativer Einmischung, Korruption und unfairem Wettbewerb finden. Das alles ist Ergebnis davon, dass es bei uns an der Herrschaft des Rechts mangelt." (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 24.10.2014)