Ein Liebhaber von Schweineradios und Wollessiggurken: Rudolf Klein.

Foto: Heribert Corn

"Sie war", schreibt der US-Schriftsteller Kurt Vonnegut über eine seiner Heldinnen, "wie so viele Amerikaner bestrebt, sich aus den Dingen, die sie in Geschenkshops fand, ein sinnvolles Leben zusammenzubauen." Lebenshilfe und Sinnstiftung durch Kram: Diese Leidenschaft pflegt auch Stefan, Protagonist eines ansonsten recht menschenarmen neuen Buchs von Rudolf Klein, des an vielen künstlerischen Fronten und seit vielen Jahren auch für den Standard tätigen Wiener Zeichners und Lochgottschöpfers.

Recht menschenarm ist das Buch, weil Stefan bereits in frühester Jugend nur "geringes Vertrauen in die Menschheit" aufbringen kann (was allerdings gelegentliche Anfälle von unerwarteter Menschenliebe und die eine oder andere sexuelle Eskapade nicht ausschließt). Versuche Stefans, sich der Welt auf traditionellen Berufswegen zuzuwenden, scheitern einer nach dem anderen. Er fühlt sich weder zum Maler, Schriftsteller noch zum Sportler berufen, und auch die Karriere als Musiker geht ins Leere, weil sich die Plattenfirmen nicht für seinen "mit Herzblut komponierten" Sommerhit "Sonnenbrand auf Cellulitis" erwärmen können.

So wendet er sich denn schließlich umso intensiver der Dingwelt zu, und hier vor allem den unauffälligen, vordergründig wertlosen, skurrilen Objekten, die es ihm seit Kindesbeinen angetan haben. Sie sind ihm Gegenstände des Interesses, des Trostes, des Nachdenkens und der lustvollen Körperbefriedigung, wie etwa jene formschöne Spritzpistole aus rosarotem Plastik, die "in späteren Jahren auch schon einmal eine Rolle in Stefans Arsch spielen durfte".

Der Herr der Dinge, so der Titel von Kleins Buch, schildert Stefans Curriculum Vitae gleichsam als Abfolge gefundener Dinge, als ein Sammelsurium von Objets trouvés, welche seinen Lebensweg so zuverlässig säumen wie Bäume eine Allee. Das im Czernin-Verlag erschienene Opus, ist, wie es mit einer alten Rezensentenphrase heißt, "reichhaltig illustriert"; geschätzt die Hälfte der zweihundertzwanzig Seiten zeigen vierfärbig reproduzierte Exponate aus dem einzigartigen Warenlager, das Stefan über Jahrzehnte hinweg zusammengetragen hat: Objekte von atemberaubender Abstrusität, niederschmetternder Grindigkeit und unterirdischer Perversion, aber auch von rührender Weltverlorenheit und wunderzartem Witz.

Da gibt es Kinder-Schmusebären mit aufgestickten Operationsnarben; Zigarillos der Marke "Sprachlos"; Kühlschrankmagneten in Dreisackform (nein: nicht "Dreizack"); jahrzehntealte Zeitungsannoncen für die Durchschau-Röntgenbrille "Sexi" ("Bewundere alle Reize der Dame durch die Kleidung"!); das Parfum "La fin du monde" ("How will it smell?"); eine Mehrzweckflöte in Dackelform; ein Set von giftgrünen Wollessiggurken; ein "Schweineradio" mit einer am Gehäuse angebrachten Schweinsfigur, "die die Lippen bewegen kann". So mächtig und prächtig sind diese Objekte, dass sie zuletzt den Erzähler und seine Stefan-Figur vollends zu überwältigen scheinen; auf der letzten Strecke des Buches melden sie sich jedenfalls beide nicht mehr zu Wort, stattdessen prangen auf einer Doppelseite farbenfrohe Objektassemblagen.

Der Herr der Dinge ist ein prachtvoll eigenwilliges, verschrobenes Buch. Und es ist ein Buch, das viele Einladungen ausspricht: Es lädt dazu ein, sich meditativ in ein Arsenal armseligster Gegenstände zu vertiefen, die durch den schieren Akt des Beachtet- und Betrachtetwerdens seltsame Würde bekommen. Es lädt dazu ein, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Psyche eines solch außergewöhnlichen Sammlers tickt: Da paaren sich ein großer Wille zur autonomen Lebensgestaltung und eine Unbekümmertheit um Konventionen mit einer zwar verklausuliert sich äußernden, aber nicht minder großen Verliebtheit in die Welt.

Schließlich lädt der Herr der Dinge, eher implizit und doch sehr spürbar, zur Kritik an einer real existierenden Konsumgesellschaft ein, die noch den letzten Warenschrott mittels fauler Design-Zaubertricks und psychologischer Untergriffe mit dem Odium des Begehrenswerten und Unentbehrlichen versehen möchte. Dem setzt Stefan, der mit Rudolf Klein möglicherweise den einen oder anderen Wesenszug teilt, eine Ästhetik des Kargen und des Kläglichen entgegen, in der nicht selten eine immense Komik zu Hause ist. Ein eigenwilliges und herzerwärmendes Buch. (Christoph Winder, Album, DER STANDARD, 25./26.10.2014)