Wie überall auf der Welt hat der Fußball auch in Serbien viele begeisterte Fans und Förderer. Eine Besonderheit aber ist, dass der angeblich Völker verbindende Sport immer wieder zu politischen Kundgebungen missbraucht wird. Die frühesten nationalistischen Spannungen im zerfallenden Jugoslawien zeigten sich, für alle sichtbar, schon Ende der 80er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts beim Match zwischen Roter Stern Belgrad und Dinamo Zagreb, das in Split in einen regelrechten Fußballkrieg ausartete. Die Schlachtenbummler des Roten Stern baute ihr Anführer Zeljko Raznatovic ("Arkan") zur Kerntruppe seiner paramilitärischen Formationen, die "Weißen Tiger", aus, kaufte später den Klub und dessen Stadion und ließ sie von 1991 an mordend und brandschatzend durch Kroatien, Bosnien und Kosovo ziehen.

Kroatien steht in den abscheulichen Fußballtraditionen Serbien in nichts nach, ist aber inzwischen als EU-Mitglied an eine kürzere Leine gelegt und sieht sich nicht mehr nur von Feinden umzingelt.

14. Oktober 2014: Uefa-Länderspiel zwischen Serbien und Albanien im Belgrader Partizan-Stadion. Noch vor Spielbeginn geht die albanische Nationalhymne in einem Johl- und Pfeifkonzert unter, das sich während des Spiels nur mit Sprechchören abwechselt. In der 40. Minute beim Stand von 0:0 schwebt plötzlich eine von einer Spielzeugdrohne gelenkte Fantasiefahne Großalbaniens so tief über das Spielfeld, dass Stefan Mitrovic, der sonst im FB-Freiburg spielt, sie lässig zu fassen bekommt, locker und leicht, fast ein bisschen unwilllig. Kurz ist eine verschwommene Landkarte mit den albanischen Gebieten in den Nachbarländern Griechenland, Mazedonien, Montenegro und Serbien zu sehen. Die zwei Gesichter darauf gehören Ismail Cemailia, dem Gründer und ersten Premier Albaniens, und Isa Boletini, einem nationalistischen Bandenführer, die vor 100 Jahren die Gegner Serbiens in den Kämpfen um das von Montenegro besetzte Nordalbanien waren.

In der 41. Minute wird das Spiel abgebrochen, und in den anschließenden Tumulten kann man auf den Fernsehbildern sehen, wie die albanischen Spieler um ihr Leben laufen, von einigen serbischen Kollegen beschützt werden und die 3500 anwesenden Polizisten nicht eingreifen, als sich serbische "Fans" auf die albanischen Sportler stürzen. Es regnet Feuerwerke, Möbel und entblößte Oberkörper.

Was TV-Sehern bei uns vorenthalten blieb, waren die serbischen Sprechchöre - außer einer kleinen offiziellen Delegation hatten Albaner zum Match keinen Zutritt. Und der anwesende Bruder des albanischen Premiers wurde auch so schnell wie fälschlich als Drohnenlenker ausgemacht.

Die Belgrader "Fans" sind nicht nur Sportsfreunde, sondern auch geschickte Reimeschmiede: "Ubi, zakolji, da siptar nepostoji" (Töte, schlachte, damit der Albaner nicht existieren kann). Eine Variante davon ist: "Ubi hrvata da siptar nema brata" (Töte den Kroaten, damit der Albaner keinen Bruder hat). Reimt sich auch. Durch nichts zu überbieten in seiner Eindeutigkeit und reimerischen Würze ist der beliebte Schlachtruf: "Noz, zica-Srebrenica" (Messer, Stacheldraht-Srebrenica). In dem stadionweiten Heulen des "Nosch-schitza-Srebrenica" kann man die Messer förmlich wetzen hören.

Eine entfesselte Meute

Während der 41 Minuten dieses live übertragenen Spiels kann die entfesselte Meute ihre Hasstiraden ungehindert in die laufenden Kameras schreien. Wer das versäumt hat oder es nicht glaubt, kann es auf Youtube jederzeit nachsehen und -hören und auf Radio Free Europe eine Analyse der Schlachtengesänge abrufen. "Vucicu pederu" - "Vucic, du Päderast!" (das herabwürdigende Wort für Homosexuelle) ist dabei der Schlachtruf. Er gilt dem serbischen Premier Aleksandar Vucic, weil der unlängst die erste Belgrader Regenbogenparade ungestört und von 7000 Polizisten bewacht über die Straßen ziehen ließ. Weil auch Patriarch Irinej sich bei seinen Kreuzzügen gegen die Homosexuellen dieser Sprache bedient, dürfen sich die Fußballfreunde in guter Gesellschaft wähnen.

Am Tag nach dem Skandalmatch wurden in einigen Städten der Wojwodina wie Novi Sad und Sombor albanische Geschäfte angezündet und verwüstet. Das sind keineswegs "ausländische" Albaner, sondern "Einheimische", die zu den etwa zwei Prozent der ortsansässigen Minderheit gehören, die früher in allen Teilen Jugoslawiens meist Bäckereien und Eisdielen führten. Zuerst war von "Unbekannten" die Rede, später hieß es, man habe die Täter ausfindig, aber nicht dingfest machen können, da es sich durchwegs um Minderjährige handle. Ob das Bild von marodierenden Kindern im Völkergemisch der Wojwodina ein freundlicheres ist als das von nationalistisch verhetzten Erwachsenen oder gezielten Geheimdienstaktionen, bleibt dahingestellt.

Die Uefa, die in ihrem Urteil am Freitag beide Seiten gleichermaßen relativ mild bestraft hat, verteidigt ihre fatale Nationengruppierung damit, dass Serbien und Albanien keinen Krieg geführt hätten. So einfach kann man es sich machen, wenn man genügend sensibel ist. Der geplante Staatsbesuch von Premier Edi Rama in Belgrad - der erste seit 1947, als Enver Hoxha Tito besuchte, um eine Balkanunion gegen Stalin zu schmieden - wurde prompt abgesagt. Damit wäre der Zweck der Drohnenübung erfüllt, der EU-Beitrittskandidat Serbien hat sich von seiner reifsten Seite präsentiert.

Viel schöner war es dagegen auf Belgrads Straßen am 16. Oktober, als der russische Präsident Wladimir Putin zur Militärparade erschien und von heißen Sprechchören und Bannern begrüßt wurde: "Wladimir, wir lieben dich!", "Putin, rette die Serben!" "Putin, gib's ihnen!" (der EU, den USA).

Wie Honecker und Breschnew

Dass es ausgerechnet die 3. Ukrainische Front unter Marschall Tolbuhin war, die am 20. Oktober 1944 Belgrad befreite, blies man an diesem Tag lieber nicht so laut hinaus. Der russische Präsident war gerührt, lobte Serbien für seine "Treue zum Völkerrecht" (sic!) und versprach in der Kosovo -Frage weiter russische Unterstützung. Das war so herzergreifend, dass der hünenhafte Präsident Tomislav Nikolic nicht genug kriegte, den sich windenden Putin wie King Kong zu umarmen und gewaltsam abzubusseln. Honecker und Breschnew - nix dagegen.

So grauenvoll peinlich und lächerlich, dass man sich fremdschämen, schadenfreuen oder Putin sogar ein bisschen bemitleiden konnte, auch weil derweil in Mailand eine Runde von nicht so befreundeten Politikern auf ihn wartete, um seine eigene Treue zum Völkerrecht abzuklopfen. (Veronika Seyr, DER STANDARD, 25.10.2014)