Lewis Dartnell weiß, was man wissen muss, wenn nichts mehr geht - oder wenn man selbst Seife, Papier, Glas oder ein Messer herstellen will. In seinem "Handbuch" hat er dieses Wissen in kompakter Form versammelt.

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Lewis Dartnell, "Das Handbuch für den Neustart der Welt", 367 Seiten, € 25,60, Hanser, Berlin, 2014

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Wien - "Zwischenschafter" ist wohl der einzige Begriff, der all das abdeckt, was Lewis Dartnell so treibt. "Wenn man mich fragt, was ich mache, sage ich zuerst immer, dass ich Forscher bin." Genau genommen arbeitet der 34-Jährige hauptberuflich als Astrobiologe für die britische Raumfahrtagentur und erforscht an der Universität Leicester unter anderem, ob bestimmte Mikroben, die auf der Erde unter extremsten Lebensbedingungen existieren - sogenannte Extremophile - am Mars oder in der Atmosphäre der Venus überleben könnten.

Klingt spannend und ist es auch. "Dennoch würde ich mich langweilen, wenn ich die ganze Woche nur das machen würde", sagt Dartnell. Zum Ausgleich für die Arbeit im Labor ist der Forscher noch als Wissenschaftsvermittler für das Fernsehen tätig, hält vor Volksschülern Vorträge über Physik und Astronomie. Außerdem schreibt er auch noch Bücher.

Forscher mit Vermittlungsmission

Wie sich das alles ausgeht? "Meine Woche hat acht Tage", scherzt Dartnell, ehe er auf zwei Unterstützungen verweist, die hierzulande für Jungforscher mit Vermittlungsmission undenkbar scheinen: "Zum einen werden meine Popularisierungsaktivitäten durch ein Stipendium des britischen Forschungsfonds STFC gefördert." Einen Tag in der Woche kann sich Dartnell deshalb ganz offiziell der Wissenschaftsvermittlung widmen. Zum anderen gebe ihm aber auch die Universität Leicester den nötigen Freiraum: "An meiner Uni geht man davon aus, dass meine Auftritte in den Medien oder in Schulen sowohl der Reputation der Universität wie auch der öffentlichen Wahrnehmung der Naturwissenschaften etwas bringen."

Dartnells jüngstes Vehikel, um naturwissenschaftliches Wissen zu verbreiten, ist ein Buch, das gerade in deutscher Übersetzung erschienen ist. Beim Gespräch in einem Wiener Café nennt er es schlicht "Das Handbuch" und ist kaum mehr zu bremsen, wenn er davon zu reden beginnt: Drei Jahre habe er daran geschrieben, hunderte Bücher dafür gelesen und jede Menge Experimente durchgeführt - schließlich ist das Buch auch nichts Geringeres als Das Handbuch für den Neustart der Welt.

Als Ausgangspunkt für sein Vorhaben diente Dartnell ein Katastrophenszenario, das dank etlicher Romane, Filme und Computerspiele gut eingeführt ist: Ein Großteil der Weltbevölkerung wird aufgrund eines Meteoriteneinschlags, einer Pandemie oder eines Atomkriegs ausgelöscht, die Infrastruktur ist zusammengebrochen. Was sollen die wenigen Überlebenden in dieser Situation tun? Und was müssen sie wissen?

"Mit etwas Glück stehen ihnen einige Hinterlassenschaften aus der Zivilisation zur Verfügung", sagt Dartnell und verweist darauf, dass man sich von den Konserven und der Trockennahrung eines großen Lebensmittelmarkts über 50 Jahre lang ernähren kann - und sogar noch etwas länger, wenn man auch vor Katzen- und Hundefutter nicht zurückschreckt.

Postapokalyptisches Handbuch

Dieser postapokalyptische Albtraum dient dem Astrophysiker vor allem dazu, den Lesern - als hypothetischen Überlebenden - auf rund 300 Seiten die wichtigsten Grundkenntnisse der Natur- und Ingenieurwissenschaften, aber auch der Medizin und der Landwirtschaft in praktisch umsetzbarer Form zu vermitteln. Wer schon immer wissen wollte, wie man selbst Seife, Papier oder Glas herstellen kann, findet im Handbuch ein brauchbares Nachschlagewerk mit vielen praktischen Tipps.

Dartnell hat nämlich nicht nur die einschlägige Literatur gewälzt: Er hat auch selbst ein Messer aus Metall hergestellt und eine einfache Kamera gebastelt, mit der er ein primitives Selbstporträt anfertigte, das die englische Originalausgabe ziert. Einen Teil von Dartnells Experimenten kann man auch als Videos abrufen, wie den Bau und Betrieb eines Holzvergaserofens.

Diese Technik hat es Dartnell besonders angetan, "denn damit hätten nicht nur Millionen von Menschen eine effiziente und wenig gesundheitsschädliche Kochstelle". Er verweist auch darauf, dass während des Zweiten Weltkriegs eine Million Autos mit einem Holzvergaser betrieben worden sind, der auf demselben Prinzip beruht.

Dartnells "Handbuch" erhellt damit auf kurzweilige Weise, wie viel Wissen und Technik nicht nur in Smartphones stecken, sondern in den ganz alltäglichen Dingen des Lebens. Noch unterhaltsamer als die Lektüre ist es allerdings, sich vom Autor in einem Kaffeehaus all diese Dinge erzählen zu lassen und ihm dabei zuzuhören, wenn er zudem von neuesten astrobiologischen Erkenntnissen schwärmt und von den Möglichkeiten, in den nächsten dreißig Jahren Leben jenseits der Erde zu entdecken.

Und so würde man sich allein schon der klugen Unterhaltung wegen wünschen, nach der Apokalypse nicht nur Dartnells "Handbuch" in der Nähe zu haben, sondern auch seinen Autor. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 25./26. 10.2014)